Swiss Love
Der Liebe Leid und Lust
Franziska Heinzen • Benjamin Mead

Solo Musica SM 477
1 CD • 72min • 2024
16.03.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
In ihrem vierten, gemeinsam mit ihrem ständigen Klavierpartner Benjamin Mead erarbeiteten Recital widmet sich die Sopranistin Franziska Heinzen bereits zum zweiten Mal in Deutschland nur wenig bekannter Musik aus ihrer Schweizer Heimat. Das erste Album „Lieder us um Tal“, vor zwei Jahren beim Label Prospero veröffentlicht, enthielt dabei einige reizvolle Fundstücke. Dieses zweite Album, das seinen Schwerpunkt im 19. Jahrhundert hat, ist dagegen vor allem von archivarischem Interesse.
Aus zweiter Hand
Der Albumtitel „Swiss Love“ ist übrigens nur bedingt zutreffend, da es sich zwar um Lieder von Schweizer oder in der Schweiz tätigen Komponisten handelt, die vertonten Liebesgedichte aber durchweg aus der Feder renommierter deutscher Lyriker stammen. Severin Kolb weist in seinem Booklet-Text darauf hin, dass alle in der vorliegenden Sammlung vertretenen Komponisten (darunter eine Komponistin) zeitweise Unterricht im „großen Kanton“ (Deutschland) genossen hatten. Sie „orientierten sich in der Gedichtwahl am deutschen Kunstlied und hofften auf Absatz auf den deutschen Märkten“. Auch musikalisch gehen sie auf bewährten deutschen Wegen und sind kaum um ein nationales Idiom bemüht.
Solides kompositorisches Handwerk und ein gewisses Knowhow im Einfangen der Gefühlsstimmungen ist ihnen dabei nicht abzusprechen, dem Rorschacher Wilhelm Baumgartner (1820-1867), der mit Richard Wagner freundschaftlich verkehrte, eben so wenig wie dem Winterthurer Johann Carl Eschmann (1826-1882). Dass ihre eingängigen Kompositionen aus den 1850er Jahren noch ganz im Fahrwasser Schuberts und der deutschen Romantiker schwimmen, ist nicht besonders auffällig, irritierender ist diese Rückwärtsgewandtheit bei dem in Zürich wirkenden Bayern Lothar Kempter (1844-1918), dessen Zyklus Der Liebe Leid und Lust nach Texten aus dem Nachlass von Emanuel Geibel 1894 herauskam, zu einer Zeit also, als Gustav Mahler und Hugo Wolf längst neue Maßstäbe für die Gattung des Kunstlieds aufgestellt hatten.
Jungmädchenhafter Überschwang
Frischen Wind in die Herrenrunde, die sich in abgegriffenen Formen genugtut, bringt Yvonne Röthlisberger (1889-1980) mit ihren 1912 entstandenen Sieben Liedern auf Texte von Richard Dehmel, Mathilde von Bayern und Nikolaus Lenau. Es fehle ihnen „noch weit zur künstlerischen Reife“, attestierte ihr die Kritik nach der Uraufführung beim Schweizerischen Tonkünstlerfest in Olten, doch die damals 23jährige Studentin überrumpelt den heutigen Hörer durch ihren jungmädchenhaften Überschwang, dessen emotionale Intensität über die vertonten Texte hinausweist und dem Titel des Albums mehr als die anderen Beiträge gerecht wird. In der wenige Jahre zuvor jung an Tuberkulose verstorbenen Prinzessin Mathilde (1877-1906), die mit drei Gedichten vertreten ist, hat sie offensichtlich eine Schwester im Geiste gefunden. Da rauschen vor allem im Klavierpart die Leidenschaften auf und die Gesangsstimme wird expressiv und ekstatisch geführt, fast dramatisch in den „Lethe!“-Rufen in Nikolaus Lenaus Sehnsucht nach Vergessen. Der Liedzyklus ist das einzige Werk Röthlisbergers, das im Druck erschienen ist. Es wäre interessant zu erfahren, wie sich ihr zweifellos vorhandenes Talent in späteren Arbeiten entwickelt hat.
Am besten unprätentiös
Eingebettet sind die vier Schweizer Kunstlied-Zyklen in vereinzelte Volkslieder, von denen das erste s’isch äben e Mönsch uf Ärde in einem Arrangement von Benjamin Britten erklingt, und Dialektlieder im Volkston von Ferdinand Huber, Heidi Stucki und Arthur Beul. Sie sind die eigentlichen Schmuckstücke des Albums, und in ihnen kommen auch die Qualitäten der Sängerin am besten zur Geltung – ihr natürlicher Charme, ihr unprätentiöser Vortrag und ihre Klang gewordene Liebe zur Heimat. In den Kunstliedern kultiviert sie einen kindlichen Tonfall und zeigt nicht den vokalen Farbenreichtum, den ich in ihren vorhergegangenen Recitals gerühmt habe. Auch bleibt der Text oft mehr als nötig auf der Strecke. Benjamin Mead am Klavier, der seine pianistischen Möglichkeiten vor allem in den Liedern Röthlisbergers voll entfalten kann, fordert sie gelegentlich zu expressiver stimmlicher Expansion heraus.
Ekkehard Pluta [16.03.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
trad./Benjamin Britten | ||
1 | 's isch äben e Mönsch uf Ärde (Guggisberger-Lied) | 00:04:35 |
Lothar Kempter | ||
2 | Das Mädchen op. 13 Nr. 1 (aus: Der Liebe Leid und Lust) | 00:03:14 |
3 | Der Mond op. 13 Nr. 2 (aus: Der Liebe Leid und Lust) | 00:03:18 |
4 | Die Lichtelfen op. 13 Nr. 3 (aus: Der Liebe Leid und Lust) | 00:01:22 |
5 | Der Knabe op. 13 Nr. 4 (aus: Der Liebe Leid und Lust) | 00:01:36 |
6 | Die Nachtigall am Fenster op. 13 Nr. 5 (aus: Der Liebe Leid und Lust) | 00:02:36 |
trad./Cheryl Frances-Hoad | ||
7 | Schönster Abestern | 00:03:12 |
Johann Carl Eschmann | ||
8 | Es schienen so golden die Sterne op. 7 Nr. 2 | 00:03:21 |
9 | Auf dem Meere op. 7 Nr. 3 | 00:03:16 |
10 | Denn du bist fern op. 7 Nr. 4 | 00:03:56 |
11 | Nächtlich macht der Herr die Rund' op. 7 Nr. 5 | 00:02:46 |
Heidi Stucki/Flurina Zehnder | ||
12 | Du fragsch mi, wär i bi | 00:02:44 |
Yvonne Röthlisberger | ||
13 | Helle Nacht | 00:02:28 |
14 | Verzweiflung | 00:01:45 |
15 | Ich liebe Dich | 00:02:03 |
16 | Mein Geleit | 00:02:10 |
17 | Aus banger Brust | 00:03:10 |
18 | Aufblick | 00:02:28 |
19 | Sehnsucht nach Vergessen | 00:02:47 |
Ferdinand Huber | ||
20 | Lueget, vo Berg und Tal | 00:02:21 |
Wilhelm Baumgartner | ||
21 | Abendlied (aus: Zehn Lieder op. 20) | 00:03:03 |
22 | Nacht liegt auf den fremden Wegen (aus: Zehn Lieder op. 20) | 00:04:04 |
23 | Warme verschwieg'ne Nacht (aus: Zehn Lieder op. 20) | 00:02:24 |
24 | Mondnacht (aus: Zehn Lieder op. 20) | 00:03:11 |
Arthur Beul | ||
25 | Am Himmel stoht es Sternli | 00:03:23 |
Interpreten der Einspielung
- Franziska Heinzen (Sopran)
- Benjamin Mead (Klavier)