OehmsClassics OC 630
1 CD • 74min • 2007, 2008
16.09.2008
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Die Begeisterung der im Booklet zitierten Pressestimmen über die Beethoven-Interpretationen des Radio-Symphonieorchesters Wien unter seinem Chefdirigenten Bertrand de Billy kann ich angesichts dieser Neu-Einspielung der fünften und sechsten Sinfonie nicht nachvollziehen. Hier spielt ein gutes Orchester unter einem musikalischen Dirigenten Beethoven so, wie es von einer solchen Kombination zu erwarten ist: Gut vorbereitet, sauber gespielt, und interpretatorisch vermittelnd zwischen Grundansprüchen historisch informierter Aufführungspraxis (soweit dies in Wien eben möglich ist) und traditioneller, romantisch verklärter Beethoven-Deutung. Gerade dieser Ansatz macht diese Aufnahme so beliebig wie viele andere. Regelrecht gepackt oder gar ins Mark erschüttert wird man nicht. Dies gelingt heutzutage leider nur wenigen Beethoven-Interpreten (zum Beispiel der Deutschen Kammerphilharmonie unter Paavo Järvi).
Die fünfte Sinfonie leidet insgesamt unter einem Mangel an Sturm und Drang, wirkt allzu gebremst, nie wirklich heroisch. Dem Kopfsatz gelingt es nicht, so viel Dramatik zu entfalten, daß die anschließenden drei Sätze als sukzessive Befreiung zur Geltung kommen können. Auch die Pastorale kommt moderat daher: Im Kopfsatz wirken die Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande allenfalls “angenehm”, nicht aber “heiter” – man spürt nicht jenes Staunen, das ein Stadtmensch empfindet, wenn er der Hektik und Enge Wiens entflieht. Der “Bach” plätschert immerhin so bescheiden dahin wie das reale Vorbild Beethovens in Heiligenstadt; das Scherzo hingegen wirkt verhuscht und entbehrt des Rustikalen. Im “Sturm” setzen die heutigen Instrumente der Dramatik natürliche Grenzen: Die heutigen Holzbläser klingen nicht scharf genug. Die Wirkung von Naturtrompeten, Naturhörnern, eng mensurierten Posaunen und historischen Pauken wäre drastischer. Dessen ungeachtet zeigte Roger Norrington mit seinem RSO Stuttgart gerade in diesem Werk, daß man auch mit heutigen Instrumenten und etwas mehr Mut, an die Grenzen zu gehen, viel stärkere Eindrücke schaffen kann. Billy entfesselt eher einen Sturm im Wasserglas. Dadurch wird die Sinfonie ihres dramatischen Kerns beraubt, denn nie ist der Sturm bedrängend, der aber doch gerade dadurch die Dankgefühle des Finales erst psychologisch motivieren sollte. Selbst Bookletautor Michael Lewin frönt hier ungeachtet vieler wichtiger und richtiger Ausführungen exzessiv der form-analytischen "Sonatenhauptsatzform", welche die spätromantische Aesthetik zwar geradezu zur Ideologie erhoben, hingegen Beethovens Zeitgenossen aber so überhaupt nicht betrachtet haben, wie Hartmut Krones in einem grundlegenden Aufsatz in der österreichischen Musikzeitschrift anhand von Beispielen aus Theorieschriften des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts überzeugend darlegte. (Die Verbindung von Kunst und Wissenschaft als pädagogische Aufgabe der Musikhochschule, in: Österr. Musikzeitschrift 2/1990, S. 74–84) Das, was Beethoven selbst wichtig war – nämlich ein buchstäblich Klang gewordenes, reelles Drama mit drängendem Konflikt und begründeter Auflösung – bleibt in dieser Interpretation auf der Strecke. Auch klanglich ist die Produktion nur solide, nicht aufregend, eher ein wenig steril. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Beethoven hier ganz bewußt so dargestellt wird, daß seine revolutionäre Botschaft eben nicht durchdringen kann: Musik, die keinem wehtut und niemanden aufrüttelt, schöngeistig zelebriert.
Dr. Benjamin G. Cohrs [16.09.2008]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Ludwig van Beethoven | ||
1 | Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67 | 00:33:18 |
5 | Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 für Orchester (Pastorale) | 00:40:15 |
Interpreten der Einspielung
- Radio-Symphonieorchester Wien (Orchester)
- Bertrand de Billy (Dirigent)