Wagner
Lohengrin
DG 00440 073 5616
2 DVD-Video • 3h 29min • 2018
25.07.2019
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Als Bayreuther Groß-Event war 2018 der neue Lohengrin geplant, der die anfangs heftig umstrittene, später dann umso heftiger akklamierte Inszenierung von Hans Neuenfels (2010) ersetzen sollte. Alvis Hermanis war für die Regie vorgesehen, in den Hauptrollen wurden Roberto Alagna und Anna Netrebko angekündigt. Erst sagte Hermanis ab, angeblich aus Protest gegen die deutsche Flüchtlingspolitik. Dann kam die Netrebko nach ihrer ersten Elsa in Dresden zu der Erkenntnis, dass sie mit der deutschen Sprache Probleme hat. Und kurz vor Probenbeginn musste Alagna feststellen, dass er die Partie noch nicht beherrscht. Von der glamourösen Erstbesetzung blieb nur das Künstlerehepaar Neo Rauch & Rosa Loy übrig, die sich jahrelang von Wagners Musik inspirieren ließen und ihn dann über die Farbe ganz für sich entdeckten, wie es sich für echte Maler gehört. Und zwar die Farbe Blau, die schon Nietzsche dem Werk zugeordnet hatte. Das Blau von Delfter Kacheln dominiert alles: Die Vorhangs- und Horizontmalereien, das Bühnenbild, das Licht, das Auftrittskostüm Lohengrins und sogar die Perücke Elsas.
Auf der Bühne finden sich im ersten Akt eine verwilderte Transformatorenstation und ein „melancholischer“ Strommast, was den später zum Team gestoßenen Regisseur Yuval Sharon zu der Deutung führte, „dass Brabant ein untergegangenes Land ist, ohne Elektrizität“ und dass Lohengrin der Mann sei, den Strom in dieses Land zu bringen. Daraus entwickelt Sharon steile Thesen, zitiert Marx und Bakunin, setzt gar Lohengrin mit Lenin gleich. Im Mittelpunkt steht der Emanzipationsprozeß Elsas. Sie befreit sich von den brutalen Fesseln der Brabanter Gesellschaft und am Ende auch von den Liebesfesseln des besitzergreifenden Gralsritters. Im grell orangenen Brautgemach kommt es zum Bruch und der verhängnisvollen Frage. Im ebenfalls grell orangenen Outfit verläßt Elsa an der Seite eines gesichtslosen grünen Männleins, das den Bruder Gottfried darstellen soll, die leblos in sich zusammenfallende Masse der Brabanter. Ortrud bleibt ihr allerdings auf den Fersen.
Die politische Botschaft wird in Form eines naiven Kindermärchens transportiert. Wo bei Neuenfels der Chor in Rattenkostümen steckte, tragen bei Sharon die Protagonisten Flügelchen wie die Biene Maja. Das Duell zwischen Lohengrin und Telramund findet als Luftnummer von Puppen statt. Lohengrin war von Anfang an ein beliebtes Objekt für Parodien und Karikaturen. In Sharons Inszenierung ist mir nicht ganz klar, ob er entsprechende Ambitionen hatte, oder ob vieles nur unfreiwillig komisch ist wie die Blumen streuenden Hausfrauen („Gesegnet soll sie schreiten“), die tanzenden Krieger oder die gemeinsame Bibellektüre im Brautgemach. Handwerklich umgesetzt ist das Konzept nicht sehr erfindungsreich. Die eher schematischen Chorarrangements und die holzschnittartigen Personenporträts sind alte Opernkiste aus der Vorkriegszeit.
In musikalischer Hinsicht lässt diese Bayreuther Produktion aber kaum Wünsche offen. Christian Thielemann findet als Dirigent das richtige Maß für diese komplexe Partitur, vermeidet Säbelrasseln und deutschnationales Pathos und hält das Geschehen in einem organischen lyrischen Fluß mit klug disponierten dramatischen Höhepunkten. Die Klangbalance zur Szene ist vorbildlich, auch im Piano werden die Sänger vom Orchester wie auf Händen getragen. Die musikalische Einstudierung muß sehr sorgfältig gewesen sein. So viel Differenzierung in der Dynamik, so viel Phrasierungskultur und so viel Textdeutlichkeit wie hier erlebt man heute auch in Bayreuth nicht alle Tage. Piotr Beczala singt die Titelpartie mit Schmelz, verfügt aber auch über die nötige heldische Attacke. Anja Harteros ist eine fraulich-reife Elsa, die trotz einiger Schärfen stimmlich zu bezaubern vermag und im Spiel mehr als ihre Partner aus den vorgegebenen Rollenklischees ausbricht. Gegen diese haben vor allem die beiden Widersacher anzukämpfen. Waltraud Meier überzeugt als Ortrud gleichwohl durch ihre starke Bühnenpersönlichkeit und die noch immer beträchtlichen stimmlichen Ressourcen. Tomas Konieczny setzt als Telramund seine imposanten baritonalen Mittel ein, mit einem Hang, die Vokale zu verfärben. Armer Georg Zeppenfeld! Wie schon in der Neuenfels-Inszenierung ist auch hier der König (mit Rübezahlbart) als Witzfigur angelegt, was in starkem Kontrast steht zu seinem noblen und geschmeidig-schlanken Gesang. Egils Silins als Heerrufer beschränkt sich nicht wie so viele Kollegen aufs „Rufen“, sondern fällt mit dem Bemühen um gesangliche Differenzierung positiv auf.
Ab 26. Juli steht Lohengrin wieder auf dem Spielplan der Festspiele. Die beiden Frauenrollen sind umbesetzt, die Titelrolle singt zunächst Klaus Florian Vogt, bevor Beczala im August übernimmt. Dann gibt auch Anna Netrebko als Elsa ihr aufgeschobenes Bayreuth-Debut.
Ekkehard Pluta [25.07.2019]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Richard Wagner | ||
1 | Lohengrin (Romantische Oper in 3 Aufzügen) | 03:29:00 |
Interpreten der Einspielung
- Georg Zeppenfeld (Heinrich der Vogler, deutscher König - Bass)
- Piotr Beczala (Lohengrin - Tenor)
- Anja Harteros (Elsa von Brabant - Sopran)
- Tomasz Konieczny (Friedrich von Telramund, brabantischer Graf - Bariton)
- Waltraud Meier (Ortrud, Telramunds Gemahlin - Mezzosopran)
- Egils Silins (Der Heerrufer des Königs - Bariton)
- Chor der Bayreuther Festspiele (Chor)
- Orchester der Bayreuther Festspiele (Orchester)
- Christian Thielemann (Dirigent)