„Aber die Liebe ...‟
BRAHMS Vier ernste Gesänge op. 121, Lieder & Piano Pieces
Prospero Classical PROSP 0058
1 CD • 55min • 2021
01.07.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Unter dem Eindruck des bevorstehenden Todes seiner Freundin Clara Schumann schrieb der 63jährige Johannes Brahms Vier ernste Gesänge nach Texten des Alten wie des Neuen Testaments. Sie wurden am 9. November 1896, wenige Monate vor seinem eigenen Tod, in seinem Beisein in Wien uraufgeführt. Schon von daher eignet ihnen der Charakter eines Testaments und man ist gewohnt, sie mit einer gewissen Bedeutungsschwere vermittelt zu bekommen. Und die tiefe Männerstimme, für die sie ursprünglich gedacht waren, bringt a priori eine dunkle, oft düstere Klangfarbe ins Spiel. Allerdings gab es schon früh Transpositionen in höhere Stimmlagen und neben den großen historischen Aufnahmen von Alexander Kipnis, Hans Hotter und dem jungen Dietrich Fischer-Dieskau hat sich die Altistin Kathleen Ferrier mit einigen Studio- und Live-Aufnahmen beeindruckend verewigt. Die Schweizer Mezzosopranistin Marie-Claude Chappuis tritt nun in ihre Fußstapfen und wird in dem Arrangement von Jean-Pierre Moeckli statt von einem Klavier, von einem Streichquartett begleitet.
Trost in der Musik
Dieses Arrangement hat mich auf Anhieb überzeugt. Denn durch den weichen harmonischen Streicherklang wird im Zusammenwirken mit der ebenso weichen und geschmeidigen Gesangsstimme ein neuer Subtext der Lieder erkennbar, der dem Tod nun jeden Schrecken nimmt und ihn als eine Art Erlöser erkennen läßt. Der kleine Zyklus ist hier vom Ende her zu begreifen: „Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen“. Dieser Schlußsatz steht zugleich als Motto über dem ganzen Album, das zuvor überwiegend den weltlichen Aspekten der Liebe gewidmet war und sich auch aus dem reichen Fundus der Brahmsschen Volkslieder bedient. Die Kategorie des Tröstenden findet sich auch in den Zwei Gesängen op. 91, in denen die Bratsche (hier: Hans Egidi) mit der Gesangsstimme korrespondiert: Friedrich Rückerts Gedicht Gestillte Sehnsucht und das von Emanuel Geibel ins Deutsche übertragene Geistliche Wiegenlied Lope de Vegas, das Brahms mit dem volkstümlichen Weihnachtslied Joseph, lieber Joseph mein einleitet.
Intimer Liedgesang in Vollendung
Christian Chamorel, der Begleiter (und wohl auch musikalische Dramaturg) dieses Programms, der mit drei Klavierstücken aus den sieben Fantasien op. 116 sinnstiftende Intermezzi schafft, betont in einem kurzen Booklet-Beitrag, er habe sich mit der Sängerin vorab darauf geeinigt, „dass eine Annäherung basierend auf rein instrumentaler Atmung dem Projekt eine willkommene persönliche Note verleihen würde“. Diese Konzeption ist voll aufgegangen. Der Text gerät dabei gelegentlich ins Hintertreffen, aber die Intimität des Vortrags und das stille Leuchten der Stimme, das vor allem ein Leuchten von innen ist, sind tief berührend, die Zärtlichkeit, mit der die Musik gleichsam liebkost wird, verzaubert den Hörer vom ersten bis zum letzten Takt. Wie Marie-Claude Chappuis mit einem Minimum an Atemaufwand ein Maximum an Schönklang erreicht, ist faszinierend. Ich habe Vergleichbares nur bei Teresa Berganza erlebt. Die Instrumentalisten (neben Chamorel die Geiger Patrick Genet und François Gottraux, der Bratschist Hans Egidi und der Cellist Marc Jaerman) schaffen der Sängerin einen würdigen Rahmen. Das Booklet ist – wie eigentlich immer beim Label Prospero – sehr geschmackvoll und informativ.
Ekkehard Pluta [01.07.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johannes Brahms | ||
1 | Meine Liebe ist grün op. 63 Nr. 5 (Junge Lieder I) | 00:01:33 |
2 | Von ewiger Liebe op. 43 Nr. 1 | 00:04:21 |
3 | Dein blaues Auge hält so still op. 59 Nr. 8 | 00:01:47 |
4 | Am Sonntag Morgen op. 49 Nr. 1 (aus Italien) | 00:01:14 |
5 | Intermezzo E-Dur op. 116 Nr. 4 | 00:04:27 |
6 | Die Sonne scheint nicht mehr WoO 33,5 (Deutsche Volkslieder Heft 1) | 00:01:19 |
7 | Da unten im Tale WoO 33,6 (Deutsche Volkslieder Heft 1) | 00:01:38 |
8 | Mein Mädel hat einen Rosenmund WoO 33,25 (Deutsche Volkslieder Heft 4) | 00:01:29 |
9 | Die Mainacht op. 43 Nr. 2 | 00:03:01 |
10 | Capriccio g-Moll op. 116 Nr. 3 | 00:03:07 |
11 | Gestillte Sehnsucht op. 91 Nr. 1 | 00:05:59 |
12 | Geistliches Wiegenlied op. 91 Nr. 2 | 00:05:07 |
13 | Capriccio d-Moll op. 116 Nr. 1 | 00:02:32 |
14 | Denn es gehet dem Menschen op. 121 Nr. 1 (Prediger Salomo 3 - aus: Vier ernste Gesänge op. 121) | 00:05:00 |
15 | Ich wandte mich und sahe an op. 121 Nr. 2 (Prediger Salomo 4 - aus: Vier ernste Gesänge op. 121) | 00:03:30 |
16 | O Tod, o Tod, wie bitter bist du op. 121 Nr. 3 (Jesus Sirach 41 - aus: Vier ernste Gesänge op. 121) | 00:04:01 |
17 | Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete op. 121 Nr. 4 (1. Korinther 13 - aus: Vier ernste Gesänge op. 121) | 00:05:11 |
Interpreten der Einspielung
- Marie-Claude Chappuis (Mezzosopran)
- Christian Chamorel (Klavier)
- Hans Egidi (Viola)
- Quatuor Sine Nomine (Streichquartett)