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Besprechung CD

Zingarissimo

Brahms und seine Liebe zur ungarischen Musik

Fine Music FM 367

1 CD • 46min • [P] 2023

01.01.2024

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Von kultureller Aneignung wird oft gesprochen, dabei hat vieles auch mit Neugierde und Emotionen zu tun. Etwa im Fall von Johannes Brahms, der sich von den Melodien, Rhythmen und Klangfarben der osteuropäischen Volksmusik besonders angezogen fühlte. Seine populärsten Kompositionen sind stark von diesen Einflüssen genährt, hinter denen jahrhundertlang überlieferte, geografisch weiträumige Traditionen stehen. Die gesamte abendländische Musikgeschichte wäre ohne die Aufnahme traditioneller und manchmal fremder Einflüsse so nicht vorstellbar und dadurch wesentlich ärmer.

Auf dem Album "Zingarissimo" – in Anspielung auf ein heute politisch unkorrektes, aber dennoch historisch verankertes Wort – bringt ein hochmotiviertes Trios dieses Musikerbe wieder ganz nah an seine Wurzeln. Matthias Well (Violine), Maria Well (Violoncello) und Vladislav Cojocaru (Akkordeon) tauchen im besten Sinne ein – und setzen setzen mit einer regelrecht schwindelerregenden Spielfreude die größtmögliche Authentizität frei. Alle drei Musiker verstehen es, den Klang ihrer Instrumente mit jener Prise Rauheit und ungefilterter Emotion einzufärben, die dazu führt, man sich sofort in andere Welten und ferne Zeiten versetzt fühlt.

Weit gespannter Bogen

Der Bogen spannt sich weit – es geht hier um mehr als das Faible des Komponisten Johannes Brahms zur ungarischen Folklore, ebenso um so vieles, was Antonín Dvořák, Fritz Kreisler, Grigoraș Dinicu und Rezső Seress inspirierte. Matthias und Maria Well haben dazu eine persönliche Verbindung zu solchen kulturellen Wurzeln. Einer der Großväter soll direkt über einem lebhaften Kaffeehaus aufgewachsen sein, in dem täglich Musiker ungarische Volksmelodien spielten. Folgerichtig sind hier drei Menschen wirklich mit Herzblut dabei. Das Akkordeon dient als hervorragendes Bindeglied und Harmonieinstrument, steigt aber auch selbst mächtig ein in die feurige Virtuosität der Streichinstrumente. Überhaupt kam viel bereichernder Input vom Akkordeonisten Vladislav Cojocaru, der aus Moldawien stammt und heute in München lebt. Seine Arrangierkunst eröffnet den Raum für spielfreudige Improvisationen und eine echte "Czardás" lässt die Funken sprühen. Diverse Übernahmen aus der rumänischen Gipsy- oder Sinti- und Roma-Tradition lassen die Synkopen tanzen. Und einige ungarische Tänze von Johannes Brahms klingen hier deutlich mehr nach ungarischen Tänzen als nach Brahms und strotzen mit leuchtenden Klangfarben nur so vor nostalgischer Patina. Eines der wenigen langsamen Stücke auf diesem Album geht ans Gemüt, wenn in der Ballade vom traurigen Sonntag, dem Gloomy Sunday von Rezső Seress, Violine, Cello und Akkordeon ergreifend um die Wette schluchzen. Bekanntlich entfaltete Gloomy Sundy einen schaurigen Kult, in dem es im Ruf stand, als "Ungarisches Selbstmordlied" zum Soundtrack für Selbstmordgefährdete zu dienen.

Stefan Pieper [01.01.2024]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
trad.
1Dve gitary (russ. Volkslied)
Sándor Lakatos
2Romanze
Johannes Brahms
3Ungarischer Tanz Nr. 1 g-Moll
Fritz Kreisler
4Schön Rosmarin
Johannes Brahms
5Ungarischer Tanz Nr. 5 g-Moll
Antonín Dvořák
6Slawischer Tanz e-Moll op. 72 Nr. 2
Johannes Brahms
7Ungarischer Tanz Nr. 2 d-Moll
8Walzer As-Dur op. 39 Nr. 15
9Klavierquartett Nr. 1 g-Moll op. 25 (4. Satz Rondo alla zingarese. Presto)
Vladislav Cojocaru
10Csardas
Resző Seress
11Gloomy Sunday
Grigorasch Dinicu
12Hora mártişorului

Interpreten der Einspielung

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