Bach
Lisa Batiashvili
DG 00289 479 2479
1 CD • 69min • 2013, 2014
28.08.2014
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
„Bach“ lautet der Titel der neuesten CD der Geigerin Lisa Batiashvili: In einem Rundumschlag bietet die Künstlerin eine reichhaltige Auswahl aus Johann Sebastian Bachs Schaffen für ihr Instrument: von der rekonstruierten Urfassung des Konzerts für zwei Cembali BWV 1060 für Oboe und Violine über das Violinkonzert BWV 1042 und die Sonate für Violine solo BWV 1003 bis zur Sinfonia der Kantate „Ich steh mit einem Fuß im Grabe“ BWV 156. Aus dem Reich der Übertragungen ist noch eine Transkription der violinbegleiteten Arie „Erbarme dich“ aus der Matthäus-Passion zu hören, in der die Oboe d’amore die Partie des Altsolos übernimmt. Eine Triosonate für Flöte, Geige und Basso continuo des Sohnes Carl Philipp Emanuel macht diese CD ebenso zur Familienangelegenheit wie die Teilnahme von Lisa Batiashvilis Ehemann, dem Oboisten François Leleux.
„Ich möchte unterschiedliche Stile von Bach bis Prokofjew spielen, ohne dass ich für jede Epoche ein neues Instrument erlerne. Ich mache mir dafür die jeweilige Artikulation und die spezifische Klangvorstellung zu eigen, die für Bach eine ganz andere ist als für Prokofjew.“ So positioniert sich Lisa Batiashwili im Beiheft bezüglich stilistischer Fragen, nachdem der Leser unterrichtet worden ist, dass sie sich sehr wohl mit historischem Instrumentarium, barockem Geigenbogen und mit „alten Spielpraktiken“ beschäftigt habe. Von einem „dogmatischen Stil“ möchte die aus der georgischen Hauptstadt Tiflis gebürtige Künstlerin sich indes fernhalten.
Die rekonstruierte Urfassung des Cembalokonzerts BWV 1060 für Violine und Oboe eröffnet das Programm wirkungsvoll: elegant und stilvoll kommen Batiashvili und Leleux hier mit dem Kammerorchester des Bayerischen Rundfunks daher, etwas frischer als Helmut Müller Brühl mit dem Kölner Kammerorchester, dem man die Erfahrenheit eines langen Musikerlebens in sehr ausgewogenem Musizieren anhört. Zwei Aufnahmen entstammen dem Umkreis der historisch informierten Aufführungspraxis und folgen mit solistischer Besetzung den neuesten Erkenntnissen: Masaaki Suzuki mit seinem Bach Collegium Japan und den Solisten Ryo Terakado und Marcel Ponseele musizieren elegant, doch nicht frei von nervösem Unterton; Café Zimmermann, reitet die Partitur im Parforcetempo zu Tode: Da fällt wieder einmal auf, dass man nicht automatisch alles richtig macht, wenn man den neuesten Erkenntnissen der Musikwissenschaft folgt – meinte Lisa Batiashvili etwas in der Art, wenn sie sich nicht dogmatisch vereinnahmen lassen wollte?
Die nachfolgende Sinfonia aus der Kantate „Ich steh mit einem Fuß im Grabe“ BWV 156 nimmt Lisa Batiashvili ihrem Mann weg, ist das Soloinstrument doch ursprünglich die Oboe. Sie schmückt ihre Beute mit einigen Portamenti und Vibrati, die sie in den Originalstücken für ihr Instrument in diesem breit dimensionierten CD-Programm vermeidet. Diese Sinfonia hat gelegentlich etwas viel Schmelz, der bei der ebenfalls durchaus mit Gefühl musizierten Originalversion bei Ottavio Dantone und seiner Accademia Bizantina nicht zu hören ist.
Es folgt das Violinkonzert in E-Dur BWV 1042. Frische, Eleganz und klangliche Transparenz bestechen ähnlich wie im Eröffnungskonzert; dazu kommt unleugbares Temperament, was dem Stück keinesfalls wehtut. Der zweite Satz bietet wundervoll ausgesungene melodische Linien, ganz ohne störende agogische Manöver, die allerdings mittlerweile einer so fernen Vergangenheit angehören, dass sie bei keiner Vergleichsaufnahme das Vergnügen trüben. Kolja Blacher verständigt sich mit Helmut Müller Brühl auf einen etwas gemäßigteren, aber durchaus beschwingten Tonfall. Thomas Zehetmair ersetzt Temperamentsausbrüche durch überaus sorgfältige Artikulation. Das möchte man besonders von den Vertretern der historisch informierten Musizierpraxis erwarten: Café Zimmermann mit dem Solisten Pablo Valetti geht flott zu Werke, filigran in der Durchhörbarkeit dank Solobesetzung, aber in den Affekten nicht sehr konturenreich; hier besticht Rachel Podger durch Differenziertheit und passende Emotionalität mit ihrem ebenfalls solistisch besetzten Ensemble Becon Baroque.
Als nächsten Gang ihres Bach-Menüs serviert Lisa Batiashvili die Sonate für Violine solo in a-Moll BWV 1003. Mit Grazie und Ernst widmet sie sich diesem Höhepunkt der Geigenliteratur, und mit freudigem Erstaunen ist festzustellen, dass die Künstlerin sich tatsächlich intensiv mit der historisch informierten Musizierpraxis auseinandergesetzt hat, anders wären gelegentliche Parallelen in der Interpretationshaltung zwischen ihr und Sigiswald Kuijken kaum zu erklären.
Als Juwel entpuppt sich die Triosonate in h-Moll Wq 183 von Carl Philipp Emanuel Bach. Nicht zuletzt dank der Teilnahme des Flötisten Emmanuel Pahud entfaltet sich das Stück in Anmut und mit wundervoller Phrasierung, Wilbert Hazelzets und Alda Stuurops Einspielung hinterlässt demgegenüber einen matten Eindruck. Dieses Stück hätte ein gutes und wirkungsvolles Finale für das von Lisa Batiashvili und ihren Mitstreitern dargebotene Programm abgeben können.
Leider ist die CD dann allerdings noch nicht zu Ende; es folgt ein Ärgernis, das ihr in Bezug auf künstlerische Qualität fast die Wertung „6“ statt der vergebenen „7“ eingebracht hätte: Die Arie „Erbarme dich“ aus der Matthäus-Passion, jener wunderbare Dialog zwischen Altstimme und Violine, erklingt hier als instrumentales Zwiegespräch des Künstlerpaares, wobei François Leleux mit seiner Oboe d’amore in wortloser Melodie die Altpartie übernimmt – als ob es dabei auf die Worte nicht ankäme. Das ist eine Profanierung im Gewand einer virtuos-spirituellen Zirkusnummer und legt eine gediegene Pietätlosigkeit gegenüber einem zentralen geistlichen Augenblick in der Matthäus-Passion an den Tag. Die Künstlerin war (von ihrer Plattenfirma?) schlecht beraten, als dieses Stück in ihr „Bach“-Programm geriet. Es ist lediglich dem insgesamt noblen Spiel der Solisten und des Orchesters zu verdanken, dass dieser programmatische Fehltritt nicht auch noch zur Schmonzette verkommen ist. Bach selbst hat seine eigene Musik zu verschiedenen Anlässen wiederverwendet, auf diese Weise sind viele weltliche Stücke in seine geistliche Musik geraten. Den umgekehrten Weg, aus geistlichen Kompositionen weltliche Musik zu machen, ist er fast nie gegangen. Eine entsprechende respektvolle Haltung hätte auch dieser CD „Bach“ gut angestanden.
Als Fazit bleibt die Hoffnung, dass Lisa Batiashvili hier nicht ihr letztes Wort in Sachen Bach gesprochen hat. Die beiden Konzerte und die Sonata zeugen von einer ersnthaften Haltung gegenüber Johann Sebastian Bach: Sie mündet in Deutungen, die von intensiver Beschäftigung mit dem derzeitigen Diskurs und von einem eigenständigen Verhältnis zu dieser Musik künden. Bach stellte für seine Zeitgenossen und stellt für Musiker unserer Tage eine Herausforderung dar und wird somit nie alt – das zeigt Lisa Batiashvili mit diesem Einstand, der unter vielen Einzelaspekten respektabel, in der Gesamtheit der Zusammenstellung freilich eine etwas zu bunte Blütenlese geworden ist.
Vergleichseinspielungen: BWV 1060R: Hommel, Stewart, Kölner Kammerorchester, Müller-Brühl (CD: Naxos 8.554169). Ponseele, Terakado, Bach Collegium Japan, Suzuki (CD: BIS CD 961). Café Zimmermann (CD: Alpha 048) BWV 156: Accademia Bizantina, Dantone (CD: Dec 4782718) BWV 1042: Blacher, Kölner Kammerorchester, Müller-Brühl (CD: Naxos 8.554603). Zehetmair, Amsterdamer Bach Solisten (CD: ED 0115002BC). Terakado, Bach Collegium Japan, Suzuki (CD: BIS CD 961). Podger, Beacon Baroque (SACD: CCS 30910) BWV 1003: Sigiswald Kuijken in J. S. Bach Edition (10 CDs: Sony dhm 88765443432) Wq 143: Hazelzet, Stuurop, Ogg, van der Meer, (CD: GLO 5110).
Detmar Huchting [28.08.2014]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Konzert c-Moll BWV 1060R (rekonstruiert nach dem Konzert c-Moll für zwei Cembali BWV 1060) | 00:12:10 |
4 | Ich steh mit einem Fuß im Grabe BWV 156 (Kantate) | 00:02:45 |
5 | Konzert Nr. 1 E-Dur BWV 1042 für Violine und Orchester | 00:15:54 |
8 | Sonate Nr. 2 a-Moll BWV 1003 für Violine solo | 00:22:34 |
Carl Philipp Emanuel Bach | ||
12 | Triosonate h-Moll Wq 143 für Flöte, Violine und Basso continuo | 00:09:02 |
Johann Sebastian Bach | ||
15 | Erbarme dich (Aria aus BWV 244 - aus: Matthäus-Passion BWV 244) | 00:06:51 |
Interpreten der Einspielung
- Lisa Batiashvili (Violine)
- François Leleux (Oboe)
- Emmanuel Pahud (Flöte)
- Sebastian Klinger (Violoncello)
- Peter Kofler (Cembalo)
- Kammerorchester des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks (Kammerorchester)