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Besprechung CD

Urgedanken

Beethoven Mahler Wagner Brahms

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1 CD • 64min • 2020

12.04.2022

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

„Urgedanke, der ewig schafft“ – ihn beschwört Mathilde Wesendonck in ihrem Gedicht Stehe still! Und er gab dem Sänger Christian Elsner Kraft und Orientierung in einer Zeit des äußersten Stillstands. Die Corona-Pandemie machte ihm schlagartig bewusst, in einem Land zu leben, in dem Kunst und Kultur keine „Systemrelevanz“ zuerkannt werden und die ausübenden Künstler über lange Zeit zum Schweigen verurteilt waren. Seine Antwort auf diese Situation fand er gemeinsam mit seinem langjährigen künstlerischen Weggefährten Burkhard Kehring in dem vorliegenden Album, das noch im ersten Jahr der Krise entstanden ist. Es ist ein gedankenvolles, aber nie prätentiöses Recital geworden, das altvertraute Werke in neuem Lichte erscheinen läßt. Elsner ist ein bedeutender Vermittler von Musik, der sich ohne jede Tenoreitelkeit ganz der Erkenntnis der Liedinhalte widmet und dabei – seinem Vorbild Dietrich Fischer-Dieskau folgend – die richtige Balance findet zwischen Emotion und geistiger Durchdringung.

Am Anfang steht Ludwig van Beethovens An die ferne Geliebte auf Texte des Medizinstudenten Alois Jeitteles, der erste Liedzyklus der Musikgeschichte. Es ist dabei nicht von der ominösen Geliebten des Komponisten die Rede, wie vielfach vermutet wurde, sondern von der kurz zuvor verstorbenen Frau des Widmungsträgers Fürst von Lobkovitz. Deshalb gehen neuere Interpretationen davon aus, dass es sich in diesen Liedern nicht um Trennungsschmerz handelt, sondern um einen Gruß ins Jenseits, um ein „weltliches Requiem“. Obwohl Beethoven zum Zeitpunkt der Niederschrift (1816) in schweren Depressionen steckte (nicht zuletzt wegen seines rapide nachlassenden Gehörs), ist in der Musik von Tragik nicht allzuviel zu spüren, überwiegt ein zuversichtlicher Ton, den der noch immer jugendlich frisch klingende Tenor überzeugend umsetzt.

Wagner singt für Mathilde

In der Folge singt Elsner durchweg Lieder, die nicht für seine Stimme geschrieben sind. Im Falle von Richard Wagners Wesendonck-Liedern, die ursprünglich als Fünf Gedichte für Frauenstimme und Klavier betitelt waren, leuchtet der Vortrag durch einen Mann – nach erstem Erstaunen – auch in dramaturgischer Hinsicht ein. Mathilde Wesendonck war mehr als die Muse Wagners und keine poetische Dilettantin. Sie hat ihn inspiriert, keine Frage, aber er umgekehrt auch sie und als Dichter begegneten sie sich auf gleicher Augenhöhe. Es ist bekannt, dass Wagner seine Kompositionen gerne mit Inbrunst selbst sang, beispielsweise den zweiten „Tristan“-Akt mit Pauline Viardot im Pariser Salon der Gräfin Kalergis im Beisein des eingeladenen Hector Berlioz. Der verlor mit der Malice des konkurrierenden Kollegen kein Wort über die Komposition und rühmte stattdessen Wagners warmherzigen Gesang. Es ist also anzunehmen, dass der Meister seiner Mathilde seine Vertonung ihrer Gedichte stolz am Klavier vorgesungen hat. Und im Vortrag von Christian Elsner und Burkhard Kehring stellt sich dieses Bild – jedenfalls bei mir – unmittelbar ein.

Licht und Schatten

Gustav Mahlers Rückert-Lieder wiederum sind gemeinhin ein Privileg tiefer Stimmlagen (Mezzosopran oder Bariton) und in den Interpretationen von Christa Ludwig und Dietrich Fischer-Dieskau jedem Musikfreund im Ohr. Es handelt sich dabei aber nicht um einen echten Zyklus, sondern um eine Auswahl von Gedichten, deren Abfolge beliebig ist und die eigentlich verschiedene Stimmtypen verlangen. Um Mitternacht ist aus männlicher Sicht geschrieben, Liebst du um Schönheit deutlich aus weiblicher. Im objektivierenden Vortrag Elsners verbinden sich die Gegensätze mühelos, wobei er sich beim erstgenannten Titel auch tenorale Expressivität erlaubt. Vier ernste Gesänge von Johannes Brahms sind „für eine Baßstimme mit Begleitung des Pianoforte“ notiert. Die lichtere Stimmfarbe des Tenors nimmt ihnen von ihrer Ernsthaftigkeit nichts, aber befreit sie von der Düsterkeit, die sie in den meisten Interpretationen tieferer Stimmen ausstrahlt. Ja, sie nehmen sogar einen tröstlichen Charakter an, besonders im letzten Lied Wenn ich mit Menschen und mit Engelszungen, wo Kehring und der Sänger die Tempobezeichnung „Andante con moto ed anima“ beim Wort nehmen.

„Gerade in einer so bedrückenden Zeit wie dieser kann die Beschäftigung mit der Vergänglichkeit und den Licht- und Schattenseiten des Lebens hilfreich und tröstlich sein“, meint Christian Elsner. Das Album „Urgedanke“ wird diesem Anspruch gerecht.

Ekkehard Pluta [12.04.2022]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Ludwig van Beethoven
1Auf dem Hügel sitz ich spähend op. 98 Nr. 1 00:02:38
2Wo die Berge so blau op. 98 Nr. 2 00:01:34
3Leichte Segler in den Höhen op. 98 Nr. 3 00:01:38
4Diese Wolken in den Höhen op. 98 Nr. 4 00:00:58
5Es kehret der Maien, es blühet die Au op. 98 Nr. 5 00:02:36
6Nimm sie hin denn diese Lieder op. 98 Nr. 6 00:04:13
Gustav Mahler
7Ich atmet' einen linden Duft (F. Rückert) 00:02:20
8Blicke mir nicht in die Lieder (F. Rückert) 00:01:18
9Ich bin der Welt abhanden gekommen (F. Rückert) 00:06:16
10Um Mitternacht (F. Rückert) 00:06:09
11Liebst Du um Schönheit (F. Rückert) 00:02:01
Richard Wagner
12Der Engel (aus: Wesendonck-Lieder) 00:02:39
13Stehe still! (aus: Wesendonck-Lieder) 00:03:20
14Im Treibhaus (aus: Wesendonck-Lieder) 00:05:13
15Schmerzen (aus: Wesendonck-Lieder) 00:02:06
16Träume (aus: Wesendonck-Lieder) 00:03:54
Johannes Brahms
17Denn es gehet dem Menschen op. 121 Nr. 1 (Prediger Salomo 3 - aus: Vier ernste Gesänge op. 121) 00:03:56
18Ich wandte mich und sahe an op. 121 Nr. 2 (Prediger Salomo 4 - aus: Vier ernste Gesänge op. 121) 00:03:27
19O Tod, o Tod, wie bitter bist du op. 121 Nr. 3 (Jesus Sirach 41 - aus: Vier ernste Gesänge op. 121) 00:03:23
20Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete op. 121 Nr. 4 (1. Korinther 13 - aus: Vier ernste Gesänge op. 121) 00:04:21

Interpreten der Einspielung

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