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Besprechung CD

A Well-Tempered Conversation

J.S. Bach & Beyond

harmonia mundi HMM 902696.97

2 CD • 1h 29min • 2021

24.03.2022

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Natürlich hat J. S. Bach sicher nie daran gedacht, dass man die beiden Bände seines Wohltemperierten Claviers zyklisch aufführen sollte. Wenn dies heute doch bisweilen geschieht – dann meist mit Band I – stellt sich, wenig überraschend, häufig Langeweile oder gar Ermüdung ein – bei Interpreten wie Publikum gleichermaßen. So gab es stets Bemühungen, Teile der Zyklen durch alle Dur- und Molltonarten mit anderen Stücken zu kombinieren, was längst nicht immer überzeugte. Der belgische Pianist Julien Libeer – Schüler u.a. der großen Maria João Pires – versucht nun ein anscheinend ganz neues Konzept: Er spielt aus der bachschen Folge chromatisch aufsteigender Präludien und Fugen nur die zwölf Dur-Paare und ersetzt die Mollstücke jeweils mit Musik derselben Tonart anderer Komponisten, die mit ihrer Länge in etwa damit korrespondieren.

Enorm sinnvolle Moll-Substitutionen

Natürlich kontrastieren die ausgewählten Werke (von Beethoven über Brahms, Skrjabin, Rachmaninoff, Reger usw. bis zu Schönberg und Ligeti) nicht nur vom Tongeschlecht, sondern ebenso vom Charakter her mit Bachs Dur-Stücken – die ja nun keineswegs alle heiter daherkommen. Und obwohl hier nur eine einzige Fuge dabei ist – aus Ravels Le Tombeau de Couperin –, beinhalten fast alle zumindest ziemlich ausgeklügelte kontrapunktische Arbeit; teils recht überraschend, wie etwa bei Chopins Mazurka cis-moll op. 50,3. Diesbezüglich steht dem bewusst das lediglich aus einer Tonhöhe (A) bestehende 1. Stück aus Ligetis Musica ricercata entgegen: mit exakt null Polyphonie. Nach Bachs letztem Dur-Paar (H-Dur) folgen dann Schönbergs bereits atonale Sechs kleine Klavierstücke op. 19 als Vorstoß in neue Welten, bevor Julien Libeer den Kreis mit der Wiederholung des berühmten C-Dur-Präludiums BWV 846 schließt. Von der Länge her – und durch die Bearbeitung Busonis für zwei Klaviere, wobei hier der Pianist Adam Laloum hinzutritt – fällt mit über 9 Minuten Mozarts Phantasie für eine Orgelwalze f-Moll KV 608 aus dem Rahmen. Das Ganze erweist sich als außerordentlich stimmiges, intelligentes Programm, das keine Sekunde langweilt und für den Hörer interessante Brücken schlägt – und Libeer spielt diese „wohltemperierte Konversation“ selbstverständlich auch so im Konzert.

Absolut beeindruckende Klavierkunst

Das beste Programm kann freilich nur bestehen, wenn die Qualität der Darbietung entsprechend ist. Nachdem schon Libeers erstes Album mit Bach und Bartók nur Lob geerntet hat, erweist sich J. S. Bach & Beyond nun als geradezu sensationell. Da beeindruckt nicht nur ein ungemein feiner, dazu von der Dynamik her hochdifferenzierter Anschlag, den der Pianist gerade auch bei Bach in allen Facetten einsetzt, damit den formalen Aufbau deutend präzisiert. Zusammen mit perfektem Pedalgebrauch sorgt das besonders in den Fugen für absolute Durchsichtigkeit einerseits; andererseits bleibt durch solch bis ins Detail durchdachtes Spiel auch komplexes harmonisches Geschehen jederzeit verständlich. Libeer wird zudem ausdrucksmäßig und bei der Tempowahl der sich über 2½ Jahrhunderte erstreckenden Klaviermusik in all ihrer, für den jeweiligen Komponisten meist sehr charakteristischen, Verschiedenheit genauso gerecht. Nur wirklich kleine Details ließen sich kritisieren – so vermisst der Rezensent etwa bei Schönberg das ausdrücklich geforderte, harte Martellato am Schluss des 4. Stückes. Eine weitere Besonderheit dieser Doppel-CD ist die Verwendung parallel-besaiteter Flügel von Chris Maene, der bereits für Daniel Barenboim ein faszinierendes Instrument hergestellt hat. Tatsächlich scheint diese Bauweise das Resonanzverhalten maßgeblich positiv zu beeinflussen. Überflüssig zu erwähnen, dass dazu eine tadellose Aufnahmetechnik und ein ansprechender Booklettext – in Interviewform – gehören: eine runde Sache mit einer klaren Empfehlung.

Martin Blaumeiser [24.03.2022]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Johann Sebastian Bach
1Präludium und Fuge Nr. 1 C-Dur BWV 846 (aus: Das Wohltemperierte Klavier Buch I BWV 846-869) 00:03:50
Ludwig van Beethoven
3Bagatelle c-Moll WoO 52 00:04:29
Johann Sebastian Bach
4Präludium und Fuge Nr. 3 Cis-Dur BWV 848 (aus: Das Wohltemperierte Klavier Buch I BWV 846-869) 00:03:38
Frédéric Chopin
6Mazurka Nr. 32 cis-Moll op. 50 Nr. 3 00:05:07
Johann Sebastian Bach
7Präludium und Fuge Nr. 5 D-Dur BWV 850 (aus: Das Wohltemperierte Klavier Buch I BWV 846-869) 00:03:06
Sergej Rachmaninow
9Prelude d-Moll op. 23 Nr. 3 – Tempo di Minuetto 00:03:41
Johann Sebastian Bach
10Präludium und Fuge Nr. 7 Es-Dur BWV 852 (aus: Das Wohltemperierte Klavier Buch I BWV 846-869) 00:05:09
Gabriel Fauré
12Prelude es-Moll op. 103 Nr. 6 00:02:08
Johann Sebastian Bach
13Präludium und Fuge Nr. 9 E-Dur BWV 854 (aus: Das Wohltemperierte Klavier Buch I BWV 846-869) 00:02:25
Maurice Ravel
15Le Tombeau de Couperin (Suite, daraus: Fugue - Allegro moderato) 00:03:17
Johann Sebastian Bach
16Präludium und Fuge Nr. 11 F-Dur BWV 856 (aus: Das Wohltemperierte Klavier Buch I BWV 846-869) 00:02:19
Wolfgang Amadeus Mozart
18Fantasie Nr. 2 f-Moll KV 608 für eine Orgelwalze 00:09:27
CD/SACD 2
Johann Sebastian Bach
1Präludium und Fuge Nr. 13 Fis-Dur BWV 858 (aus: Das Wohltemperierte Klavier Buch I BWV 846-869) 00:03:23
Johannes Brahms
3Capriccio fis-Moll op. 76 Nr. 1 00:03:35
Johann Sebastian Bach
4Präludium und Fuge Nr. 15 G-Dur BWV 860 (aus: Das Wohltemperierte Klavier Buch I BWV 846-869) 00:03:20
Dimitri Schostakowitsch
6Prelude g-Moll op. 34 Nr. 22 – Adagio 00:02:17
Johann Sebastian Bach
7Präludium und Fuge Nr. 17 As-Dur BWV 862 (aus: Das Wohltemperierte Klavier Buch I BWV 846-869) 00:03:34
Ferruccio Busoni
9Preludio gis-Moll op. 37 Nr. 12 BV 181/12 00:02:27
Johann Sebastian Bach
10Präludium und Fuge Nr. 19 A-Dur BWV 864 (aus: Das Wohltemperierte Klavier Buch I BWV 846-869) 00:03:18
György Ligeti
12Musica ricercata I (on A) 00:02:29
Johann Sebastian Bach
13Präludium und Fuge Nr. 21 B-Dur BWV 866 (aus: Das Wohltemperierte Klavier Buch I BWV 846-869) 00:03:01
Max Reger
15Zweistimmiger Kanon b-Moll WoO III/4 (aus 111 Kanons durch alle Dur- und Molltonarten, Heft 1) 00:01:35
Johann Sebastian Bach
16Präludium und Fuge Nr. 23 H-Dur BWV 868 (aus: Das Wohltemperierte Klavier Buch I BWV 846-869) 00:03:06
Arnold Schönberg
18Sechs kleine Klavierstücke op. 19 00:09:47
Johann Sebastian Bach
19Präludium 1 C-Dur BWV 846 00:02:17

Interpreten der Einspielung

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