My Inmost Heart
Variations on Brahms
Luisa Imorde
Berlin Classics 0303419BC
1 CD • 74min • 2024
26.12.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Luisa Imorde hat Recht: Auch wenn sie die Intermezzi op. 119 von Johannes Brahms liebt und verehrt, wie sie im Booklet zitiert wird, meint sie, diese aufzunehmen, sei ihr „zu klassisch, das gibt es schon zu oft.“ Deswegen bettet sie diese Intermezzi in „eine ästhetische und musikalische Kontextualisierung“ ein, sprich, sie verschränkt sie mit der Suite in B-Dur HWV 434 von Georg Friedrich Händel – der Suite, aus dessen Aria Brahms das Thema seiner Händel-Variationen genommen hat. „Variations on Brahms“ hat die Pianistin folgerichtig ihr Konzept-Album genannt, das fünfte in dieser Art. Die Intermezzi sind die einzigen Original-Kompositionen von Brahms, denen sie Werke aus dem Barock gegenüberstellt, die Brahms gekannt, gespielt oder bewundert oder sogar bearbeitet hat, so das Presto aus Bachs BWV 1001, der Violinsonate Nr. 1. Die Rezeptionsschraube dreht sie weiter, indem sie auch ein Werk mitaufnimmt, in dem Brahms Bach für Orgel bearbeitet, das wiederum Ferruccio Busoni für Klavier bearbeitet hat: den Choral Herzlich tut mich verlangen op. 122,10. Nur ein Adoramus te von Palestrina, das Leopold Godowsky für Klavier arrangiert hat, passt da nicht hinein – auch wenn Brahms grundsätzlich die altklassische Polyphonie geschätzt hat. Aber der zweite Titel der CD „My immost heart“ dient als Grund dafür: ihr eigener Geschmack, ihre eigenen Vorlieben, die dann eine so weithin unbekannte Sonate von Giovanni Battista Pescetti begründen.
Hübsche Encores
Sehr passend dafür sind die Werke des Komponisten Theodor Fürchtegott Kirchner (1823-1903), der in Leipzig studiert und in Winterthur, Zürich, Meiningen, Würzburg, Dresden und Hamburg amtiert hatte. Er hat zahlreiche Werke von Brahms bearbeitet, Lieder (von denen hier zwei auf der CD sind: hübsche Encores, bei denen sich die Kritiker die Haare raufen, weil sie sie nicht kennen…), aber auch Brahms‘ Variationen über ein Thema von Robert Schumann op. 23 für Klavier zu vier Händen, die er umschrieb für ein Klavier zu zwei Händen – und dies durchaus kunstvoll, wenn auch natürlich nicht mehr so klanggewaltig. Klangvoll klingt trotzdem die Var. IX, wohingegen Luisa Imorde die Schlussvariation alla marcia nicht so schroff nimmt, wie es viele Pianisten-Kollegen tun.
„Mit Wollust und Behagen“
Die 1989 in Wiehl geborene Luisa Imorde spielt die Intermezzi wirklich liebend, beginnt sie ganz verinnerlicht und wirklich so, wie Brahms es selber verlangt: „Jeder Takt und jede Note muss wie ritard. klingen, als ob man Melancholie aus jeder einzelnen saugen wollte, mit Wollust und Behagen aus besagten Dissonanzen.“ Die Töne klingen manchmal wie traumverloren, als tropften sie aus einem ganz persönlich-individuellen Himmel. Das Drängen des zweiten Intermezzos ist gut erfasst, der erregtere Mittelteil glänzt in gut erfühlter Akkordfülle und Sextenseligkeit, graziös und fast swingend handhabt Imorde die verschobene Rhythmik des dritten Intermezzos und recht resolut und vollgriffig rauscht das vierte Intermezzo dahin. Ernsthaft und ohne virtuose pianistische Taschenspielertricks erklingt das Bach’sche Presto (Track 16). Die barocken Kompositionen spielt Luisa Imorde unter Ausnutzung der Möglichkeiten eines Flügels, manchmal etwas romantisierend, manchmal etwas cembalo-haft anmutend.
Der Klang des verwendeten Bösendorfers ist gut eingefangen, insgesamt ist das Tonbild etwas neutral. Insgesamt eine CD, die Hör-Anreize schafft, Rezeptionsgeschichten aufreißt und damit den Horizont des Hörers erweitert.
Rainer W. Janka [26.12.2024]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Menuett 2 BWV 842 | 00:01:11 |
Johannes Brahms | ||
2 | Intermezzo h-Moll op. 119 Nr. 1 | 00:04:10 |
Georg Friedrich Händel | ||
3 | Prélude aus Suite HWV 434 | 00:01:44 |
Johannes Brahms | ||
4 | Intermezzo e-Moll op. 119 Nr. 2 | 00:04:50 |
Georg Friedrich Händel | ||
5 | Sonata Allegro aus Suite HWV 434 | 00:01:44 |
Johannes Brahms | ||
6 | Intermezzo C-Dur op. 119 Nr. 3 | 00:01:52 |
Georg Friedrich Händel | ||
7 | Aria con variazioni aus Suite HWV 434 | 00:04:04 |
Johannes Brahms | ||
8 | Rhapsodie Es-Dur op. 119 Nr. 4 | 00:05:31 |
Georg Friedrich Händel | ||
9 | Minuet g-Moll aus Suite B-Dur HWV 434 | 00:02:34 |
Johannes Brahms | ||
10 | Kommt dir manchmal in den Sinn (In Bearbeitung von Theodor Kirchner, aus Acht Zigeunerlieder op. 103) | 00:01:54 |
Giovanni Battisata Pescetti | ||
11 | Sonata c-Moll | 00:09:26 |
Johannes Brahms | ||
14 | An ein Veilchen op. 49 Nr. 2 (In Bearbeitung von Theodor Kirchner) | 00:03:00 |
Giovanni Pierluigi da Palestrina | ||
15 | Adoramus te, Christe (In Bearbeitung von L Godowsky) | 00:02:04 |
Johannes Brahms | ||
16 | Studie Nr. 4 (Presto, Nach J.S. Bach BWV 1001) | 00:03:06 |
17 | Abschied op. 69 Nr. 3 (In Bearbeitung von Theodor Kirchner) | 00:01:22 |
Wilhelm Friedemann Bach | ||
18 | Preludio c-Moll Falck 29 | 00:02:09 |
Johannes Brahms | ||
19 | Herzlich tut mich verlangen op. 122 Nr. 9 (Choralvorspiel; In Bearbeitung von Ferruccio Busoni) | 00:03:25 |
20 | Variationen über ein Thema von R. Schumann Es-Dur op. 23 (In Bearbeitung von Theodor Kirchner) | 00:19:12 |
Interpreten der Einspielung
- Luisa Imorde * 1991 (Klavier)