Mein Lieblings-Balsam gegen Lock-Down-Frust ist dieses zwischen Barock, Folk und Jazz angelegte Crossover-Album des mit dem musikalischen Nachwuchs verstärkten Hannibal-Petri Duos. Musik zum Tanzen und Träumen, die ein Lächeln ins Gesicht der Zuhörer zaubern dürfte. Fein, subtil aber auch temperamentvoll musiziert.
Auch in der neuesten Musik scheint das virtuose Klavierkonzert nicht aus der Mode zu kommen. Absolut begeisternd: Das noch fast druckfrische Konzert Gran Toccata (2019) des Schweizers Dieter Ammann für den Pianisten Andreas Haefliger. Mit präziser Klangvorstellung steuert Susanna Mälkki einen hochdifferenzierten Orchesterapparat, der sich nicht auf ausgetretenen Pfaden bewegen muss. Das ist groovy, brillant und eine planvolle – dabei immer verständliche – emotionale Traumreise.
Mit springlebendiger Spiellust, mit geistreichem Spielwitz, überbordendem Temperament und trotzdem hochkonzentriert gestaltet das Ensemble Barockin‘, gegründet, geleitet und geradezu angefeuert von der Flötistin Kozue Sato, eines von Bachs rätselhaftesten Werken. Aber gar nicht musikwissenschaftlich trocken, sondern musikantisch, plastisch und überredend-rhetorisch ist Spiel dieses Barockensembles und zeigt Bach sowohl als Melodiker als auch ausgefuchsten Kontrapunktiker, in der Flötensonate sogar als Frühempfindsamen, der seine Söhne hier fast zeitlich überholt. Selten machen musikalische Verrätselungen so viel Hör-Spaß.
Trio op. 70,2 • Symphony No. 2 Beethoven Trio Bonn
CAvi-music 8553111
1 CD • 65min • 2019
07.10.2020 • 10 10 10
Das Beethoven-Trio Bonn bietet hier einen Blick in Beethovens Künste als Arrangeur, der seine zweite Sinfonie für Klaviertrio einrichtete und damit sein virtuosestes Trio überhaupt schuf. Das ungemein phantasievolle Es-Dur-Trio führt ein Schattendasein neben dem berühmten Geister-Trio und verdiente mehr Beachtung, besonderes wenn die Werke so hinreißend interpretiert werden wie vom Beethoven-Trio-Bonn.
Klassische Meisterwerke aus ihren Originalbesetzungen heraus lösen und diese für sich oder das eigene Ensemble passend machen - das ist ein großes Thema: Neue Maßstäbe hierfür setzen die LGT Young Soloists unter Leitung von Alexander Gilman. In zwei Beethovensonaten für Violine und Cello mutierte der Klavierpart zu einem farbenprächtigen sinfonischen Satz – Spielfreude pur!
Wohl Lucianos Berios mitreißendstes Werk: Coro (1976/77), für 40-stimmigen Chor und Orchester. Sinnliche Volkspoesie wird konterkariert von düsteren Visionen des chilenischen Nobelpreisträgers Pablo Neruda. Die vom Chor – wobei praktisch alle Sänger*innen auch noch solistisch überzeugen müssen – eingeforderte Höchstleistung bewältigt Grete Pedersen mit dem Norwegischen Solistenchor am bisher überzeugendsten. Im passenden Raumklang dazu kann der Hörer tatsächlich baden: BIS liefert eine optimal abgemischte SACD.
Keine Originalwerke von Luciano Berio, sondern Bearbeitungen und Transkriptionen. Aber was für welche! Wer nicht glaubt, dass Avantgardisten gelegentlich auch mit Humor gesegnet sind, höre nur die herrlichen "Beatles Songs"!
Vincent Larderet ist mit seiner Liszt-Veröffentlichung etwas gelungen, was diese aus der Masse der Liszt-Einspielungen weit herausragen lässt. Indem der französische Pianist stets punktgenau das Innnerste, den Nerv oder die zugrunde liegende Idee des jeweiligen Werks trifft, forder und erreicht (!) er in jedem Moment die ungeteilte Aufmerksamkeit der Hörerschaft – nicht auf die enormen technischen Herausforderungen oder seine eigene phänomenale Pianistik, sondern auf Liszts Klavierpoetik schlechthin, der er so manches Geheimnis zu entlocken versteht.
Die beiden Violinsonaten Ferruccio Busonis, sehr verschieden voneinander, aber jede auf ihre Weise ein Meisterwerk, erfahren durch Ingolf Turban und Ilja Scheps durchdachte, klassisch ausgewogene Darbietungen.
Aus dem anscheinend unermeßlichen Fundus der Barockoper hat man in Innsbruck ein Werk hervorgeholt, das trotz seiner wirren Handlung und seiner beträchtlichen Länge neben den hohen musikalischen Qualitäten auch einigen theatralischen Unterhaltungswert besitzt. Die in meiner Rezension angekündigte Video-Aufzeichnung ist unterdessen bei Naxos erschienen und beweist, dass die Sänger(innen) durchweg auch ebenso gute Schauspieler(innen) sind.
Riccardo Chailly und die Filarmonica della Scala präsentieren Luigi Cherubinis Symphonie und Konzertouvertüre ebenso in mustergültigen Aufführungen, wie die zu verschiedenen Anlässen entstandenen Märsche. Letztere sind zu großen Teil Ersteinspielungen und zeigen, wie vielseitig und einfallsreich Cherubini selbst in seinen Gelegenheitsstücken zu Werke geht.
Die Pianistin Lydia Maria Bader stillte ihre Reiselust und ebenso ihre große künstlerische Neugier vor allem in China. Auf ihren Tourneen im Reich der Mitte hat sie die Musik dieser uralten Kultur aufgesogen und liefert auf Chinese Dreams eine mitreißend gespielte Kostprobe ihrer Erkundungen. Vergessen Sie jede Klischeevorstellung, die Sie bis dahin über chinesische Musik hatten!
Die endlosen Klagen der verlassenen Dido, die hier in zahlreichen Barock-Varianten präsentiert werden, sind in der seelenvollen Interpretation der Sopranistin Sunhae Im einfach zum Mitweinen schön.
Wer meint, Mozarts Sinfonie Nr. 29 A-Dur KV 201 und Schuberts 5. Sinfonie könnten nicht mehr überraschen, den belehrt das dogma chamber orchestra eines Besseren. Seine Lesart lässt vom ersten bis zum letzten Ton immer wieder aufhorchen, selbst in bekannt Geglaubtem. Mozart und Schubert wach geküsst – mir fällt keine Einspielung der letzten Jahre ein, der das so überzeugend gelungen ist.
Auf der Suche nach dem Repertoire des legendären Kastraten Farinelli betätigt sich Cecilia Bartoli einmal mehr als unermüdliche Opern-Archäologin und bringt vergessene Schätze der Barockoper ans Licht. Im ständigen Wechsel von fulminanten Virtuosenstücken und elegischen Gesängen zeigt die Sängerin die ganze Bandbreite ihres gestalterischen Könnens.
Wer glaubt, dass nur Telemann mit den barocken Klangfarben virtuos spielte und dass nur J. S. Bach anständige Choralbearbeitungen zustande brachte, sollte sich zur Passionszeit unbedingt diese Kompositionen des Telemann-Freundes und Bach-Konkurrenten Christoph Graupner einverleiben. Seine Lösungen sind stilistisch anders, „galanter“, gefälliger jedoch immer origininell.
Mit seinem immensem Sonatenschaffen bedarf Haydn als Komponist von Klaviermusik nach vielen Präsentationen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts keiner Rechtfertigung mehr. Die finnische Fortepianistin Tuija Hakkila hat hier acht frühe Sonaten Haydns auf dem Hammerklavier eingespielt, die einerseits Haydns epochale Bedeutung in der Entwicklung der klassischen Klaviersonate demonstrieren, auf der anderen Seite allerdings puren Hörgenuss bieten.
Wenn Jan Hennig am Harmonium sitzt, ist es alles, nur keine "Hallelujapumpe", wie dieses zu Unrecht verkannte Instrument oft geschmäht wird. Er holt alles aus der Musik Karg-Elerts raus. Großartig!
Die höchst unterhaltsame, dabei geistvolle und abwechslungsreiche Musik Reinhart Keisers (1674-1739) erlebt seit einiger Zeit eine verdiente Renaissance. Keiser war als einer der Hauptakteure an der Hamburger Oper am Gänsemarkt kurzzeitig Kollege von G. F. Händel, der hier im Orchester als Cembalist seine Karriere begann. Dank der vorzüglichen Leistungen der Mezzosopranistin Olivia Vermeulen und der Capella Orlandi Bremen unter Leitung von Thomas Ihlenfeldt bietet diese CD jedem Freund der alten Musik eine individuelle Facette der deutschen Barockmusik.
Das Bach-Spiel von Evgeni Koroliov ist zum Schwärmen: Er versöhnt die Architektur mit dem musikalischen Fluss und die vertikale Harmonie mit der horizontalen Melodik, er sorgt auch innerhalb der Partiten für strukturelle Ausgewogenheit, und immer hat man das Gefühl, er habe lange über die Noten nachgedacht, bis er sie spielt. So wird Nachdenklichkeit hier zum Nachdruck, veredelt durch subtile Anschlagskunst, Wechsel der Temperamente und gezielt eingesetzte Virtuosität. Und Koroliov nutzt den Flügel für tiefschürfende Klangauslotungen, wird träumerisch-versonnen, aber auch prunkvoll glitzernd: ein geistvolles und auch ohrenschmeichelndes Hör-Erlebnis.
Diese Liszt-Aufnahme ist ein Ereignis. Auf die vielfach als Totschlag-Argument vorgebrachte Frage, ob die Welt diese Aufnahme auch noch brauche, gibt es nur eine Antwort: Ja! Mit dieser wie mit ihrer Guillou-Gesamtaufnahme setzt Zuzana Ferjenčiková Maßstäbe.
Ein klassisches Klaviertrio mit einem vergleichsweise klassischen Trio-Programm – was soll (abgesehen von der qualitativ hochwertigen Umsetzung) an dieser Platte so besonders außergewöhnlich gewesen sein? Was diese Aufnahme für die Rezensentin zu einer ganz besonderen im Corona-Jahr 2020 gemacht hat, war der Live-Mitschnitt. Neben der herausragenden Interpretation des Trios, die voller Esprit war, berührte in Zeiten der Live-Konzertverbote vor allem die hörbare Atmosphäre des Mitschnitts von 2018.
Emilie Mayers Sinfonien Nr. 1 & 2 sind wahre Edelsteine der klassisch-romantischen Orchesterliteratur. Mit der unerschöpflich wirkenden Fantasie ihrer Tonsprache und ihren immer wieder unberechenbaren Wendungen widersetzen sie sich geradezu einem Vergleich mit dem sinfonischen Schaffen von Zeitgenossen oder Lehrern. Und dank der überragenden gestalterischen Differenzierung der NDR Radiophilharmonie entfalten beide Werke einen Zauber, dem man einfach nicht widerstehen kann.
Uralte Klänge, fremdartig, aber von heutigen Menschen für heutige Hörer neu zum Leben erweckt: Die Reihe "Mare Balticum" erkundet Musik, wie sie zwischen 1200 und 1500 im Ostseeraum erklang. Für die geistlichen Gesänge der Birgitta von Schweden und die weltlichen Lieder und Sprüche des Wizlaw von Rügen, die auf den beiden neuen Folgen zu hören sind, sollte man sich Zeit nehmen, um ganz in diese lange vergangene Zeit einzutauchen.
Kirchenmusik hat immer schon ein theatralisches Movens in sich, das sich auch durch das Trientiner Konzil nicht bremsen ließ: Jörg Halubek zeigt in dieser Aufnahme, wieviel sprühende theatralische Potenz in Monteverdis geistlichem Werk steckt. Glühende Marien-Liebe in frühbarockem Überschwang macht sich hier Bahn und Sänger wie Musiker überbieten sich fast an Expressivität und Ausdruckslust, die sich leicht über die Lautsprecher mitteilen: Gebet wird hier zum Tanz, Anbetung zur Anfeuerung, Innigkeit zu Inbrunst.
Hier ist ein Fagottist, der sich in puncto tonlicher Modulationsfähigkeit, technischer Überfliegerei und gestalterischer Phantasie mit den größten Kollegen geläufigerer Soloinstrumente messen kann: Bam van Sambeek spielt das Fagottkonzert von Wolfgang Amadeus Mozart so einfallsreich, kunstvoll und dabei immer noch natürlich, dass man den hörenden Blick keine Sekunde abwenden kann.
Es gibt ja Alben, die nur mit verschiedensten Version des sogenannten Pachelbel-Kanons bestückt sind. Chor und Orchester der "Himmlischen Cantorey" Hamburg stellen auf dieser Produktion allein vier Magnificats, dazu eine komplette Messe und deutschsprachige geistliche Konzerte vor, die mindestens so gut sind wie der Kanon, aber immer noch praktisch unbekannt. Das sollten diese historisch informierten und dennoch undogmatisch musikantischen Aufnahmen ändern.
Sergej Rachmaninoffs Gesamtwerk für zwei Klaviere und Klavier zu vier Händen hat im Klavierduo Genova & Dimitrov einfühlsame Interpreten gefunden, die jedes Stück in seiner Individualität darzustellen streben. Die Aufführungen sind stringent und voller Spannung.
Es gibt sie noch, die Sternstunden in der Musik. Hier hat man sie für die Ewigkeit konserviert. Musik, Interpreten und Instrument, hier passt alles auf das Wunderbarste zusammen.
Heinrich Schütz (1585-1672) galt der Zeit vor J. S. Bach als „Vater der deutschen Musik“. Die 1648 – am Ende des Dreißigjährigen Krieges – herausgegebene Sammlung „Geistliche Chormusik“ gehört zu seinen bedeutendsten Kompositionen und erfährt hier eine ebenso meisterhafte wie begeisternde Interpretation durch höchst berufene Interpreten für die Musik des 17. Jahrhunderts.
Das Dies irae wurde ja schon oft in klassischer Instrumentalmusik paraphrasiert (Symphonie fantastique, Liszts Totentanz usw.). Aber 8½-stündige Klaviervariationen darüber können nur vom britischen Exzentriker Kaikhosru Sorabji stammen – dazu mit geradezu übermenschlichen Schwierigkeiten. Für seine unglaubliche musikalische (!) Leistung hat Jonathan Powell bereits den Preis der deutschen Schallplattenkritik bekommen – völlig zu Recht. Auch wenn es anstrengend ist: Das muss man einfach gehört haben!
Wer schreibt schon Konzerte für ein „Kleinmöbel, das brummt“? Kontrabasskonzerte gehören wegen der vermeintlichen Unhandlichkeit und Unbeweglichkeit zu den Raritäten des Repertoires. Dabei kann das Fundament der Streicher sogar recht ordentlich singen, wenn ein Haydn-Zeitgenosse ihm Kantilenen auf den pummeligen Leib schreibt.
Die drei jungen Musiker des Trio Eclipse bieten mit ihrer Besetzung Klarinette, Violoncello und Klavier eine nicht gar so häufige Konstellation. Doch dies allein macht nicht die Besonderheit der Aufnahme „Spheres“ aus. In ihrem Programm, das von Gershwin über Rota bis zu zeitgenössischen Komponisten wie Thomas Demenga oder auch Daniel Schnyder reicht, zeigen die jungen Musiker eine große Bandbreite an Repertoire und keinerlei Berührungsängste mit anderen Genres wie beispielsweise dem Jazz.
Michael Collins präsentiert sich hier nicht nur auf herkömmlichem Terrain als Klarinettist, sondern auch als Dirigent des sinfonischen Repertoires. In der scheinbar so friedvollen und ausgeglichenen Fünften von Ralph Vaughan Williams entdeckt er mehr Konturen, schärfere Ecken und Kanten als gewohnt. Der Beginn einer Gesamteinspielung? Hoffentlich!