Läuft die intellektuelle Auseinandersetzung mit formalen Fragen von musikalischen Formen und Proportionen zwangsläufig auf abstrakte, manchmal esoterische L'art pour l'art hinaus? Wer bislang diese Vorstellung hatte, darf sich mit dem Hören dieser CD mit Werken des Komponisten Christian FP Kram eines Besseren belehren lassen. Aber was heißt hier schon belehren? Die Stücke, alle während der letzten 20 Jahre entstanden, werden hier durch fünf hochmotivierte Interpreten mit einer Unmittelbarkeit zum Klingen gebracht, als würden sie gerade erst im Moment des Spielens kreiert. Einer Reise in die Tiefen des Klangraums eines mächtigen Konzertflügels und in die Essenz des musikalischen Ausdrucks steht somit nichts mehr im Wege. So will es ja auch der Titel dieses Albums: „...verso l'interno..." – nach innen gerichtet.
Die dänische Flötistin Clara Guldberg Ravn hat schon mit Aufnahmen von Flötensonaten des dänischen Komponisten Morten Ræhs aufhorchen lassen. Jetzt hat sie eine weitere CD mit Flötenkonzerten aus dem Barock vorgelegt, in deren Booklet sie schreibt: „Ich hoffe, Sie haben Freude daran, unsere CD anzuhören.“ Und in der Tat: Es ist eine wahre Freude, diese CD anzuhören! Die Flötistin verwendet für jedes Konzert eine andere Blockflöte – alles ist sorgfältig dokumentiert im liebevoll gestalteten und kenntnisreich gehaltenen dreisprachigen Booklet. Die Abfolge der vier Konzerte (die im Booklet allerdings eine andere ist) ist nach dramaturgischen Grundsätzen gehalten: Die Dramatik steigert sich von Konzert zu Konzert. Clara Guldberg Ravn beherrscht ihr Instrument bzw. alle verwendeten Instrumente mühelos und meisterhaft, es sind keine Griffgeräusche, sie scheint nie zu atmen, alles scheint auf einem ewigen Luftstrom zu schweben.
Wenn es um komponierende Frauen geht, fällt auch dieser Name immer wieder: Elfrieda Andrée. Die schwedische Komponistin war nicht nur die erste Domorganistin überhaupt, sie kämpfte an mehreren Fronten für die Rechte der Frauen, erkämpfte nicht nur sich das Recht, einen solch renommierten Posten überhaupt bekleiden zu dürfen, sondern sorgte auch für andere berufliche Perspektiven ihres Geschlechts – etwa das Recht als Telegraphistinnen tätig sein zu dürfen. Mit den Vorurteilen der Männer hatte sie dabei immer zu kämpfen, wie sich aus vielen Rezensionen herauslesen lässt. Um so spannender ist es, wenn man sich nun selbst ein Urteil bilden kann, da viele neue Notenausgaben und CD-Aufnahmen das Bild der komponierenden Frau in der Musikgeschichte zu korrigieren trachten. Zu Recht!
Hat man sich in der Vergangenheit mit der Karriere des deutschen Pianisten Tim Allhoff beschäftigt, so bringt man ihn – bei aller Wertschätzung – eigentlich eher nicht mit einem reinen Bach-Album in Verbindung. Und doch hat er genau dieses bei Berlin Classics herausgebracht und überzeugt mit jeder einzelnen Note. Allhoff, Jahrgang 1980, ist vor allem bekannt dafür, pianistischer Grenzgänger zu sein, der sich dem verbreiteten Schubladendenken in der Klassikszene verweigert und sich in seiner Musik – als Interpret, aber auch Komponist und Arrangeur – gerne zwischen den Genres aufhält. Mit der CD „Bach“ bringt er nach mehreren preisgekrönten Aufnahmen unter eigenem Namen sowie mit hochkarätigen Namen wie Nils Wülker, Fatma Said, dem Leonkoro Streichquartett und sogar Robbie Williams nun seine erste rein klassische Aufnahme heraus.
Obwohl Bach als ausübender Musiker eine Vielzahl Instrumente beherrschte, spielte er die Laute nicht. Dennoch hat er ein zwar kleines, aber exquisites Œuvre für das Instrument hinterlassen, und seine idiomatische Vertrautheit mit der Laute dürften nicht zuletzt Ratschläge des bedeutenden Lautenisten Silvius Leopold Weiss (1687-1750), mit dem Bach freundschaftlich verbunden war, befördert haben. So sind Bachs Kompositionen für Laute solo, von denen Jadran Duncumb hier seine zweite Einspielung vorlegt, als bedeutendes Beispiel spätbarocker Literatur für dieses empfindsame Instrument zu werten, bevor es im weiteren musikalischen Schaffen des 18. Jahrhunderts in eine gründliche Vergessenheit geriet – erst mit der historisch informierten Musikbewegung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konnte die reiche Literatur für die Laute wieder eine angemessene Wertschätzung erreichen.
Sonata BWV 1003 • Suite BWV 997 • Suite BWV 1006a Stephen Marchionda guitar
MDG 903 2354-6
1 CD/SACD stereo/surround • 63min • 2024
26.03.2025 • 10 10 10
Geradezu liebevoll beschreibt der amerikanische Gitarrist Stephen Marchionda seine Gitarre, deren Bau, deren Gitarrenbauer und dessen Werkstatt in Spanien. Und genauso liebevoll klingt sein Spiel. Er hat drei Sonaten bzw. Partiten von Bach für Gitarre transkribiert, die ursprünglich für Violine und Laute bzw. ein Lautenwerck komponiert waren. Man muss hier nicht diskutieren, ob die E-Dur-Suite BWV 1006a ursprünglich für Violine oder Laute gedacht war oder ob man alles für eine Gitarre adaptieren „darf“: Bach hat selber viele seiner Werke für andere Instrumente arrangiert. Man kann es und man „darf“ es, wenn nichts von der ursprünglichen musikalischen Gestaltung verlorengeht. Marchionda, der schon höchst erfolgreich Klaviersonaten von Domenico Scarlatti für Gitarre arrangiert hat, macht es und er macht es glänzend.
Sonatas & Partitas for violin solo BWV 1001 - 1006
Coviello Classics COV 92405
2 CD • 2h 06min • 2019, 2020
12.02.2025 • 10 10 10
Die Sammlung „Sei Solo“ von Johann Sebastian Bach aus dem Jahr 1720 enthält je drei Sonaten und Partiten für Violine ohne Generalbass-Begleitung. Der 1961 in Freiburg geborene Geiger Christoph Timpe hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese einzigartigen Werke nach den Prinzipen der historischen Aufführungspraxis aufzunehmen. Der Klang seines Instruments, das von einem Anonymus aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stammt, ist hell und klar, gestimmt auf einen niedrigeren Kammerton als heutige Geigen. Dass die Lautstärke verhältnismäßig gering ist, wird durch die Aufnahmetechnik ausgeglichen.
Johannes Brahms Sonatas op. 120 • Robert Schumann Märchenbilder op. 113
Christian Euler, viola • Paul Rivinius, piano
MDG 903 2353-6
1 CD/SACD stereo/surround • 62min • 2024
11.04.2025 • 10 10 10
Das Duo Bratsche/Klavier mit Christian Euler/Paul Rivinius hat schon einige CDs in dieser Besetzung veröffentlich – sehr groß ist das diesbezügliche Repertoire ja nicht. Diesmal also Spätromantik mit Brahms und Schumann. Brahms hat seine Klarinetten-Sonaten – Frucht einer letzten Aufwallung von Komponierlust – auch für die Bratsche vorgesehen, mit vernehmlichem Brummeln zwar, aber dann doch. Zusammen mit den original für Bratsche geschriebenen Märchenbildern op. 113 von Robert Schumann ergibt sich eine stimmige Gesamtkonzeption, hat doch Schumann dieses Werk komponiert, nachdem er Brahms kennengelernt hat.
Der 1965 in Bamberg geborene Dirigent Gerd Schaller hat sich in einem Groß-Projekt zum Ziel gesetzt, die Symphonien Bruckners in allen verfügbaren Fassungen einzuspielen. Als idealen Klangkörper gründete er dafür 2008 die „Phiharmonie Festiva“, ein Orchester, in dem ausgewählte Musiker aus verschiedenen deutschen Vereinigungen zusammenkommen. Die Symphonie Nr. 3 wurde im April 2024 im Regentenbau Bad Kissingen als Live-Aufnahme eingespielt, wofür diesmal die meist zu hörende Fassung von 1877 gewählt wurde.
Mit Paul Büttner (1870‒1943) widmet sich der Dirigent Jörg-Peter Weigle einem der vielen heute vergessenen Komponisten, die im zwanzigsten Jahrhundert die Symphonik in klassisch-romantischer Tradition weitergeführt haben. Der Dresdner Büttner stammte aus einfachen Verhältnissen, was sich in seinem jahrzehntelangen Einsatz für die musikalische Bildung der Arbeiterschaft widerspiegelt und den seit 1907 mit Unterbrechungen am Dresdner Konservatorium wirkenden Pädagogen – ab 1924 als künstlerischer Direktor – und bekennenden Sozialdemokraten unter den Nazis 1933 die Stellung kostete. Seine musikalisch völlig unbedenkliche Kunst war fortan unerwünscht. Büttners jüdische Frau Eva saß ab 1922 sogar für die SPD im sächsischen Landtag, überlebte nach dem Tod ihres Gatten den Rassenwahn nur mit Glück und setze sich später in der DDR für die Pflege von dessen Werk ein. Trotzdem schaffte es bislang nur eine ältere Eterna-Aufnahme von Büttners 4. Symphonie auf CD (Sterling).
Der 1897 als Paul Frankenburger in München geborene Komponist hatte sich bereits vor der Emigration 1933 nach Palästina musikalisch zu seinen jüdischen Wurzeln bekannt. Doch erst dort – wo er sich auch in Ben-Haim umbenannte - lernte er, vor allem durch die jemenitische Sängerin Bracha Zephira, echte Volksmusik sephardischer Herkunft kennen, die dann zunehmend sein Werk bestimmen sollte. So gesehen ist der Titel des von der Geigerin Liv Migdal kuratierten neuen cpo Doppelalbums „The Cosmos of Paul Ben-Haim‟ etwas irreführend, denn die hier eingespielte Musik lässt den noch stark an Wagner und vor allem Mahler orientierten Stil des jungen Komponisten außer Acht.
Schubert Brahms Martin Milan siljanov, Nino Chokhonelidze
Prospero Classical PROSP0103
1 CD • 57min • 2022
26.02.2025 • 10 10 10
Der als Sohn persisch-mazedonischer Eltern in der Schweiz geborene Sänger Milan Siljanov wählte für sein neues Lieder-Album den ernsten Titel „Echoes of Eternity“, um auf den Sinngehalt seiner Lieder-Auswahl hinzuweisen: es geht um Leben und Tod, um die Hoffnung, dass es für den Menschen „eine Weiterführung in eine ferne Ewigkeit“ gibt. Schubert-Lieder wie Am Bach im Frühling oder Auf der Donau sind bei tieferer Betrachtung düster und traurig gestimmt, und dieser Eindruck steigert sich noch bei Gesängen wie Fahrt zum Hades oder Gruppe aus dem Tartarus. Doch es gelingt dem Interpreten, seinen warmen, wandlungsfähigen Bariton bei klarer Diktion so eindringlich und spannungsreich einzusetzen, dass begeisternde Musik entsteht. Die aus Tiflis stammende Pianistin Nino Chokhonelidze leistet mit variablem Anschlag und starkem Einfühlungsvermögen das ihre, um die Lieder anziehend zu gestalten.
Das Markenzeichen des Amaryllis-Quartetts (Gustav Frielinghaus, Lena Sandoz – Violine, Mareike Hefti. - Viola und Yves Sandoz – Violoncello.) besteht in der Programmierung von zumeist zwei Werken des klassisch-romantischen Repertoires mit einer Komposition moderneren Charakters. Dieses Prinzip war bereits bei seiner nach Farben benannter CD-Reihe prägend, deshalb wird es jetzt für eine Gesamtaufnahme der Beethoven-Quartette übernommen. Diese wird den Titel Face2Face tragen. Die erste CD dieser Serie beschert uns äußerst gelungene Einspielungen der Quartette op. 18,3 und op. 135 von Ludwig van Beethoven, und Bela Bartóks Sechstes Quartett.
Die größte Sammlung von Vokalmusik um 1700 in Mitteleuropa ist die von Georg Österreich (1664-1735). Bekannt ist sie aber unter dem Namen ihres Nachbesitzers Heinrich Bokemeyer (1679-1751). Bokemeyer wurde in Immensen geboren, studierte an der Universität Helmstedt Theologie, Literatur und Medizin, wonach er für seine Gelehrsamkeit berühmt wurde, wurde 1704 Kantor der Martinuskirche in Braunschweig, dann 1712-1717 in Husum, ab 1717 war er an der fürstlichen Schule in Wolfenbüttel tätig. Sein Lehrer war Georg Österreich, von dem er dessen Sammlung erwarb
Die serbische Pianistin Dina Stojilković verfügt nicht nur über die Technik, sondern auch über das Gespür, um die höchst anspruchsvollen beiden Bücher der „Goyescas“ nachzuempfinden. Der typisch spanische Tonfall teilt sich ebenso mit wie der in Töne umgesetzte Bilderreichtum der „majos enamorados“ – der verliebten jungen Männer! Temperament und Gefühl sind die Markenzeichen dieser Einspielung.
Nach Archilochos und Isaiah Berlin kennt der Fuchs viele verschiedene Sachen, der Igel nur eine große. Dieser Einteilung der Künstler und Denker folgend, erscheint der Wiener Komponist Wilhelm Grosz, der, nachdem er vor den Nationalsozialisten hatte fliehen müssen, 1939 viel zu früh im amerikanischen Exil starb, als archetypischer „Fuchs“. Sein Schaffen erstreckt sich auf eine Vielzahl unterschiedlichster Gebiete und spiegelt die Vielseitigkeit seines Autors wieder, der mit einer musikwissenschaftlichen Arbeit über Mozarts Fugen promoviert wurde, als Pianist wie als Dirigent gleichermaßen erfolgreich war, und schließlich zur Ultraphon-Schallplattengesellschaft fand, für die er bis 1933 als Aufnahmeleiter arbeitete. Gleichermaßen traditionsbewusst wie aufgeschlossen für neue Möglichkeiten künstlerischer Aussage, war Grosz das Gegenteil eines weltabgewandten Künstlers, der im stillen Kämmerlein für sich allein und vielleicht noch einen Zirkel Eingeweihter schreibt.
„Es gibt wohl in der Reger-Nachfolge kaum eine subtilere und dabei gemütswärmere Musik als diese“ – so schreibt Klaus Wolters in seinem meinungsfreudigen, manchmal durchaus kontroversen, aber stets anregenden Handbuch der Klavierliteratur zu zwei Händen über die Klavierwerke von Joseph Haas (1879–1960). Vor gut 20 Jahren hat sich die Pianistin Gerit Lense einiger dieser Werke angenommen; seinerzeit erschienen zwei CDs beim verdienstvollen, mittlerweile aber leider nicht mehr existenten Label Cavalli Records. Umso erfreulicher ist daher, dass mit dem vorliegenden Album die erste dieser beiden CDs bei Ars Produktion wiederveröffentlicht wird.
Die Gesamteinspielung der Streichquartette Joseph Haydns durch das Leipziger Streichquartett nähert sich mit Volume 19 der Vollendung. Diesmal geht es um das frühe Opus 2, Werke, die eigentlich noch der Gattung „Divertimento“ zugerechnet wurden und allesamt fünfsätzig sind. Sie entstanden wahrscheinlich gegen Ende der 1750er Jahre für Karl Joseph von Fürnberg auf Schloss Weinzierl in Niederösterreich. Nur vier der insgesamt sechs Kompositionen des Opus 2 sind originale Streichquartette, die übrigen sind echte Divertimenti, nämlich Sextette mit zwei Hörnern.
Ähnlich wie der nur wenige Monate jüngere, lange überschätzte Heinrich von Herzogenberg (1843-1900), oder der 12 Jahre später geborene Heinrich XXIV. Prinz Reuss von Köstritz (1855-1910, nicht zu verwechseln mit dem derzeit wegen Revolutionsfantasien verhafteten gleichnamigen heutigen Prinzen), ist Hans Heinrich XXIV. Bolko Graf von Hochberg (1843-1926) einer jener Adligen, welche den hohen Stand der gelehrten Kompositionskunst konservativ-klassizistischer Couleur der Zeit zwischen Bruckner/Brahms und Mahler/Strauss im deutschsprachigen Raum belegen. Der gebürtige Schlesier studierte bei dem Kontrapunktpapst Friedrich Kiel in Berlin, gründete 1876 die Schlesischen Musikfeste und war von 1886 bis 1902 General-Intendant der Königlichen Schauspiele in Berlin, also auch der Preußischen Hofoper, wo er 1898 Richard Strauss als Hofkapellmeister engagierte.
Johannes Moesus und sein Südwestdeutsches Kammerorchester Pforzheim beweisen einmal mehr ihre Affinität zur deutsch-österreichischen Musik um 1800. Diesmal haben sie zwei Sinfonien und ein aberwitzig virtuoses Konzert für zwei Hörner von Franz Anton Hoffmeister aufs Programm gesetzt. Sie retten damit drei heitere, unbedingt hörenswerte und gute Laune stiftende Werke vor der Vergessenheit. Eine CD, die einem trübe Wintertage erhellen kann!
Der norwegische Cellist Theodor Lyngstad, Jahrgang 1993, ist seit 2019 Solocellist beim Philharmonischen Orchester Kopenhagen (bzw. in aktueller Eigenbezeichnung Copenhagen Phil – hele Sjællands symfoniorkester). Mit dem vorliegenden Album gibt er sein CD-Debüt, sekundiert von „seinem“ Orchester unter der Leitung der finnischen Dirigentin Eva Ollikainen (derzeit Chefdirigentin des Isländischen Sinfonieorchesters). Vergleichsweise ungewöhnlich ist dabei die Kombination von Kabalewskis Cellokonzert Nr. 2 und Schumanns Cellokonzert, wobei Lyngstad selbst allerdings durchaus berechtigt auf eine Reihe von Parallelen zwischen den beiden Werken hinweist, speziell atmosphärischer Natur.
Der ungarische Komponist György Kurtág – mittlerweile in seinem hundertsten Lebensjahr – gilt seit jeher als Meister der kleinen Formen und intimen Besetzungen. Höchst selten überschreitet ein einzelner Satz eines längeren Werkes oder eine Liedvertonung zeitlich vier Minuten. So reichen bei ihm schon kleinste musikalische Gesten oder ein dreizeiliger Gedichttext aus, um emotionale Höchstspannung zu erreichen und die Hörer tief zu berühren.
ier erklingt ein Mozart, über den nicht allzu viel gesagt, sondern der einfach gehört werden sollte: Alles klingt, ‚spricht‘ und leuchtet, reif und natürlich, überzeugend vom Ersten bis zum Letzen, symphonisch! So realisiert, erscheint die Musik weder ‚geglättet‘ noch unter- oder überspannt, nichtsdestoweniger hoch konzentriert, lebendig gerichtet. Nirgends wird das tiefernste Moll künstlich dionysisch aufgeladen. Schon nach den ersten Taktgruppen des Orchesters und hernach des Klaviereinsatzes – spannend gestaltet sind auch die Pausen! – ist man unter den Händen dieses Pianisten in die Formprozesse hineingezogen.
Nos. 4, 5, 6, 10 and 12 Folkwang Kammerorchester Essen • Johannes Klumpp
Genuin GEN 25909
1 CD • 67min • 2022
09.02.2025 • 10 10 10
Mozarts ganz frühe Symphonien werden im Konzertsaal kaum gespielt. Sie würden vielleicht öfters aufgeführt werden, würden sie so gespielt, wie es das Folkwang Kammerorchester Essen unter dem hochinspirierten Dirigat von Johannes Klumpp tut. Klumpp ist schon für seine (von Thomas Fey übernommene und dann fertiggestellte) Gesamtaufnahme der Haydn-Symphonien mit den Heidelberger Sinfonikern gefeiert worden. Das Feiern wird kein Ende nehmen, wenn die Gesamtaufnahme aller Mozart-Symphonien mit diesem Orchester abgeschlossen sein wird. Denn Klumpp begreift die frühen Mozart-Symphonien deutlich als dialogisch: „Kantabilität, ‚sprechender‘ Ton, ‚Theaterhaltung‘“ sowie „Analogien zu szenischen Formen“ schreibt Volker Scherliess im „Mozart-Handbuch“ allen Symphonien Mozarts zu und zitiert dabei E.T.A. Hoffmann, der die Symphonie schlechthin als „Oper der Instrumente“ charakterisiert.
Es ist höchst erfreulich, dass die Streichquartett-Literatur nach wie vor durch hervorragende Komponisten um neue Meisterwerke bereichert wird. Spontan fallen mir aus jüngerer Zeit das bislang einzige Quartett Al-Asr des genialen jungen Franzosen Benjamir Attahir oder das erst kürzlich uraufgeführte Quartett Nr. 8 des deutschen Altmeisters Roland Leistner-Mayer ein. Als echte Bereicherung des Repertoires dürfen auch die bislang vier Streichquartette des 1964 geborenen Schweizers Fabian Müller gelten, von denen die drei letzten auf dem vorliegenden Album des Galathea-Quartetts zu hören sind. (Das Streichquartett Nr. 1 wurde bereits 2008, als die nachfolgenden noch nicht existierten, vom Petersen-Quartett für Capriccio aufgenommen.)
Bei Folge 17 seiner „Nordic Journey“ ist der amerikanische Organist James D. Hicks mittlerweile angelangt. Wie auf den vorigen 16 CDs widmet sich Hicks alter und neuer Orgelmusik aus nordischen Gefilden – wobei der Begriff zuweilen eher weit als eng gefasst ist. Das Baltikum ist beispielsweise mit einigen Komponisten vertreten, ebenso wie Norddeutschland. Folge 17 aber besinnt sich auf die Kerngebiete: Schottland, Dänemark inklusive der Faröer, Island und Norwegen. Das ist zuweilen durchaus weit gefasst, etwa wenn der amerikanische Komponist Aaron David Miller eine effektvolle North Atlantic Fanfare oder der Norweger Mons Leidvin Takle Arrangements von Stücken Oscar Petersons beisteuern. Insgesamt ist die Mischung aber ebenso spannend wie abwechslungsreich, dies insbesondere, weil nicht wie sonst so oft die üblichen Schlachtrösser des Repertoires aneinandergereiht werden, sondern Hicks wirklich echte Raritäten ausgräbt oder – auch das eine spannende Angelegenheit – neue Werke in Auftrag gibt.
Erstaunlich, wie viele Komponisten und Literaten des deutschen Barocks einen juristischen Hintergrund hatten. Hierzu gehören J.H. Schein, J. Kuhnau, der neben dem Thomaskantorat noch eine Kanzlei betrieb, Telemann, C. Graupner sowie die Bach-Söhne Friedemann und Carl Philipp Emanuel. Eine echte Doppelung legt die Capella Cathedralis Fulda begleitet von L’Arpa festante unter der Leitung von Franz-Peter Huber nun mit der Brockes-Passion des Hamburgischen Senatssyndicus Jacob Schuback (1726-1784) in Ersteinspielung vor. Hauptberuflich war Schuback Jurist und als Diplomat Hamburgs Vertreter beim „Immerwährenden Reichstag“ in Regensburg. Sein Vater amtierte von 1754 – dem Entstehungsjahr der Komposition – bis 1782 als Bürgermeister der Stadt. Da der Textdichter Barthold Heinrich Brockes – ebenfalls Jurist und Diplomat – und Vater Schuback seit 1737 Senatorenkollegen waren, dürften Librettist und Komponist sich näher gekannt haben.
Missa votiva de Beata Maria Virgine Andrzej Szadejko
MDG 902 2336-6
1 CD/SACD stereo/surround • 62min • 2019
07.02.2025 • 10 10 10
Eine immense Forschungsarbeit ging diesem Album mit Musik aus der Tabulatur des Jan z Lublina oder Joannis de Lublin, eines polnischen Organisten und Kanonikers des frühen 16. Jahrhunderts, voraus. Der bedeutende Kodex entstand zwischen 1537 und 1548 und enthält auf 520 Seiten neben ein paar Dutzend Tänzen und weltlichen Liedern in mehreren Sprachen ein umfangreiches geistliches Repertoire, zu dem neben Hymnen und Antiphonen etwa drei Orgelmessen gehören. Allein die Entzifferung der schönen Handschrift, von der sich im Beiheft eine Abbildung findet, ist musikwissenschaftlich verdienstvoll.
Mit Vol. 4 feiern Felix Koch, die Gutenberg Soloists sowie das Neumeyer Consort „Bergfest“ bei ihrer Mammutunternehmung, den kompletten 1713/14 in Eisenach und ein Jahr später in Frankfurt uraufgeführten „Französischen Jahrgang“ der Herren Georg Philipp Telemann und Erdmann Neumeister auf Tonträgern festzuhalten. Hierbei ermöglicht Nun komm der Heiden Heiland TWV 1:1175 den direkten Vergleich mit der Komposition desselben Textes in Bachs BWV 61.
Wer immer noch meint, barocke Musik sei bloße abstrakte Musik und keine „Programmmusik“, sollte sich auf dieser CD zuerst den Schluss anhören, insbesondere die Tracks 25-29: Diese fünf Sätze aus dem Stück mit dem nichtssagenden Titel Introduzione a tre aus Der getreue Musikmeister von Georg Philipp Telemann sind fünf Frauen-Porträts aus der Geschichte bzw. Mythologie, deren Wesen und Schicksal hier musikalisch geschildert wird: das Keifen von Xanthippe, der angeblich streitsüchtigen Ehefrau von Sokrates, das Klagen von Lukretia, die von Tarquinius vergewaltigt worden ist, das vielfältig-gescheite Wesen der griechischen Lyrikerin Corinna, die Wellen des Tibers, den die heroische Römerin Cloelia durchschwamm, und das Schwanken zwischen Verzweiflung und Trauer der von Aeneas verlassenen Dido.
Bei der Rezeption des deutschsprachigen Prager Juden Hans Winterberg (1901-1991), der nach kurzer Internierung in Theresienstadt 1945 seine zweite Lebenshälfte in Bayern verbrachte, hat sich in den letzten drei Jahren einiges getan. Insbesondere durch den unermüdlichen Einsatz von Winterbergs leiblichem Enkel Peter Kreitmeier und Frank Harders-Wuthenows – sowohl beim Musikverlag Boosey & Hawkes als auch als verantwortlicher Produzent bei eda records – werden viele Werke des Komponisten, nach seinem Tode lange unter Verschluss, nun in erstaunlichem Tempo als Notenmaterial und auf Aufnahmen zugänglich gemacht. Vor allem aber kommt es zunehmend wieder zu Aufführungen seiner Musik.
Les Yeux clos“ – Mit geschlossenen Augen, so lautet der Titel dieser CD, der einem Klavierwerk von Toru Takemitsu entlehnt ist. Das könnte passender kaum sein, beschreibt es doch gleichzeitig die Hörhaltung, in der man diese CD am besten genießt: entspannt, in Ruhe, mit geschlossenen Augen und ganz auf das hörend, was da die Ohren umschmeichelt. Das tut diese Musik nämlich. Die Pianistin Sanna Vaarni hat Werke Takemitsus mit Werken von Olivier Messiaen kombiniert. Die Auszüge aus dem Zyklus 20 Regards sur l’enfant Jésus und Île de feu passen perfekt zu der ebenso demütigen wie sinnlichen Musik des japanischen Komponisten, der wie der Musik Messiaens etwas zutiefst Rituelles, Sakrales zu eigen ist.