Natürlich hat J. S. Bach sicher nie daran gedacht, dass man die beiden Bände seines Wohltemperierten Claviers zyklisch aufführen sollte. Wenn dies heute doch bisweilen geschieht – dann meist mit Band I – stellt sich, wenig überraschend, häufig Langeweile oder gar Ermüdung ein – bei Interpreten wie Publikum gleichermaßen. So gab es stets Bemühungen, Teile der Zyklen durch alle Dur- und Molltonarten mit anderen Stücken zu kombinieren, was längst nicht immer überzeugte.
Von den mittlerweile 37 Solokonzerten Kalevi Ahos stellt vorliegende CD das 2014 komponierte Doppelkonzert für Englischhorn, Harfe und Orchester und das Tripelkonzert für Klaviertrio und Kammerorchester von 2018 vor. Das Doppelkonzert ist ein effektvoll ritualistisches Stück, das vier Hauptabschnitte in einem fortlaufenden Satz umfasst, wobei der gemessen voranschreitende Kopfsatz so lang ist wie die folgenden drei. An zweiter Stelle steht eine Duokadenz der Solisten, gefolgt von einem kapriziösen Allegro. Der Schlusssatz nimmt das Tempo des ersten wieder auf. Das Ganze beginnt mit geräuschhaft eisig flirrendem Nichts und endet ebendort.
Warum Astor Piazollas Musik nie an Anziehungskraft verlieren wird, erklärt sich allein schon aus deren Bestandteilen: Eine synkopenhafte Rhythmik zieht in einen hypnotischen Sog hinein, verdichtet sich gar mit peitschenden, perkussiven Akzenten. Melodisch und harmonisch geht es stark in Richtung Jazz, wobei gerade chromatischen Abwärtsbewegungen viel Gewicht zukommt. Diese aufreizende Mischung, bei der klassischer argentinischer Tango als Ur-Quelle fungiert, atmet wie kaum sonst etwas – und behält zugleich eine prägnante Klarheit und Logik. Kein Wunder, steht doch Bachs Kontrapunkt bis hin zur Fugenform als Bindeglied im Zentrum dieser Mechanik.
Kaum jemand wird auf Anhieb sagen können, wer auf die Idee kam, dem lateinischen Weihnachtslied „Resonet in Laudibus“ den deutschen Text „Joseph, lieber Joseph mein“ zu unterlegen? Es war ein Anonymus, der um 1350-90 unter dem Pseudonym „Der Mönch von Salzburg“ dichtete. Dieser gehört zu den späten Minnesängern und steht – auch sprachlich – für den Übergang von Minnegesang zur Zunft der Meistersinger. Das Duo Erßle-Lamprecht hat sich seiner Melodien in teilweise äußerst virtuoser Form angenommen.
Einen eigenen Namen haben Hartmut Schill (Violine), Matthias Worm (Viola) und Tilman Trüdinger (Violoncello) noch nicht, wenn sie im Trio zusammenspielen. Zumindest wurde diese bereits 2016 produzierte Aufnahme der Goldberg-Variationen BWV 988 von Johann Sebastian Bach nicht unter dem Signum einer festen Formation gemacht. Wenn sie es nicht schon tun, sollten die drei Herren über eine gleichsam offizielle Ensemble-Gründung nachdenken, auch, wenn es für Streichtrio natürlich nicht ein so unerschöpfliches Repertoire gibt wie für Streichquartett.
Schaghajegh Nosrati, Bochumerin mit iranischen Wurzeln, übertrifft mit ihrer Einspielung der sechs Partiten von J. S. Bach die aktuelle Konkurrenz, indem sie – die durchaus Alkan zu „donnern“ versteht – den Klang des großen Steinway auf Hammerflügelformat zurücknimmt, fein artikuliert und im Sinne der historisch informierten Aufführungspraxis die Wiederholungen subtil variiert.
Bach war bekannt als außerordentlicher Solist auf Orgel und Cembalo, ebenso wie auf der Violine – er soll seine Kantatenaufführungen bevorzugt von der ersten Geige aus geleitet haben. Ob er selbst Laute gespielt hat, bleibt fraglich, doch passt seine Lautenmusik vorzüglich auf dieses intime Instrument, wie diese SACD und manche Aufnahme vor ihr unter Beweis stellen.
Anthems & Motets for Bass Singer and Basso Continuo
Footprint FR 123
1 CD • 60min • 2021
28.04.2022 • 10 10 10
Ein umfangreiches Soloprogramm mit Hymnen und Motetten des 17. Jahrhunderts aus Italien und England präsentiert der schwedische Bass Staffan Liljas in seinem Solodebüt auf CD: Es erklingen Vokalwerke von Claudio Monteverdi, Henry Purcell, John Blow und William Turner; drei Instrumentalwerke von Giovanni Picchi, Domenico Gabrielli und Girolamo Frescobaldi bereichern den italienischen Teil des Programms.
Es gehört zu den Markenzeichen des Duos Maiss You, dass Burkhard Maiß – an der Seite der Pianistin Ji-Yeoun You – in aller Regel sowohl auf der Violine als auch auf der Viola zu hören ist, und so kombiniert auch seine dritte CD, erneut bei TYXart erschienen, zwei Violinsonaten, nämlich Beethovens große Kreutzersonate und Bernd Alois Zimmermanns relativ frühe Violinsonate, mit der zweiten von Brahms’ Sonaten op. 120 (in der Fassung für Viola).
Vorsicht! Wer diese CD unvorbereitet in den Player schiebt und einfach nur paar schöne Minuten Musik erleben will, der sollte sich auf alles gefasst machen! Man wird sofort hinweggefegt werden durch einen unerhörten Wirbelsturm an unbändiger Musizierfreude und funkensprühenden Elans. Das ist nicht übertrieben, so ist es wirklich! Kaum dass sich die Scheibe dreht, setzt mit d-Moll Konzert für zwei Violinen von Johann Sebastian Bach die Musik ein und sorgt für ein im besten Sinne schockierendes Musikerlebnis.
Man könnte annehmen, dass es sich bei der Gattung des Klaviertrios um eine recht ‚klassische‘ handelt: Haydn hat für sie geschrieben, ebenso wie auch Mozart und Beethoven, von den Komponisten nachfolgender Generationen einmal ganz abgesehen. Und doch gelingt es dem Oliver Schnyder Trio bei seiner neuen Einspielung, der Gattung einen anderen Anstrich zu geben. Wie sehr das auch in der Absicht des Trios liegt, merkt man spätestens beim Einstieg in den wunderbaren Booklet-Text von Eva Gesine Baur, die hier einsteigt über den Titel „Bohemian Rhapsodies“ und den riesigen Erfolg Freddy Mercurys mit seiner „Bohemian Rhapsody“. Tatsächlich gelingt es ihr, Parallelen zwischen seiner Musik und den beiden Klaviertrios von Bedrich Smetana und Antonin Dvorak herzustellen.
Es ist immer wieder spannend, Neues und Unbekanntes zu entdecken. So geht es einem beim Hören der neuen CD von Matthias Höfs, die er gemeinsam mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Tarmo Peltokoski aufgenommen hat. Denn hierbei handelt es sich um eine reine Oskar Böhme-Aufnahme. Oskar Böhme? Der gebürtige Dresdner, der zu Lebzeiten bekannt wurde als „Der Trompeter von Sankt Petersburg“ ist weder in der heutigen Musikgeschichte noch im Konzertleben sonderlich bekannt. Dem könnte diese Aufnahme Abhilfe schaffen, denn Böhme schrieb eines der interessantesten Trompetenkonzerte des 19. Jahrhunderts.
Mehr und mehr rücken die Komponistinnen des 19. Jahrhunderts in den Fokus der Interpreten. Mélanie Bonis (1858-1937) hatte die Möglichkeit, vermittelt auch durch César Franck, am Pariser Konservatorium zu studieren, zusammen mit Ernest Chausson und Claude Debussy – den sie, bei aller Sympathie, durchaus kritisch sah als „entzückender Illustrator kurzer kleiner Dinge“. Ihren Kommilitonen Amédée Hettich durfte sie nicht heiraten, sondern stattdessen einen wesentlich älteren wohlhabenden Witwer, mit dem sie 35 Jahre zusammenlebte und drei Kinder hatte. Eins davon stammte aber von Amédée Hettich, mit dem sie eine Liaison hatte. Erst nach dem Tode ihres Mannes 1918 konnte sie sich wieder verstärkt dem Komponieren widmen.
Interessante Kombination eines Stiefkinds der Kammermusik von Johannes Brahms, das wegen seiner „himmlischen Längen“ gefürchtet wird. Dazu ein ähnlich lyrisches Klavierquartett von Brahms‘ Bewunderer Friedrich Gernsheim. Dem Mariani-Quartett gelang bei beiden Werken die klare Referenz.
Zwei der großen Violinkonzerte des Repertoires: Brahms‘ romantisches Paradekonzert und Bergs expressives Seelenportrait – kontrastreicher könnte das Programm dieser Einspielung kaum sein. Der Geiger Christian Tetzlaff hat beide mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter der Leitung von Robin Ticciati eingespielt. Es ist die zweite Zusammenarbeit des Hauptstadtklangkörpers mit dem Geiger, und auch die ist auf ganzer Linie gelungen. Beide Konzerte hat Tetzlaff seit unzähligen Jahren im Repertoire, doch von Routine ist sein Spiel hier weit entfernt.
Der Freundschaft zwischen Johannes Brahms und Richard Mühlfeld, dem Soloklarinettisten der Meininger Hofkapelle, verdanken wir vier kammermusikalische Meisterwerke: Das Klarinettentrio op. 114, das Quintett op. 115 und die beiden Sonaten op. 120. Sie entstehen 1891 und 1894, nachdem Brahms sein kompositorisches Schaffen 1890 eigentlich als beendet betrachtete.
Mit der Selbstaussage „Ich habe zu viel Schopenhauer gelesen und schaue mir die Sachen anders an“ schaffte es Johannes Brahms, seinen Schützling Dvořák sehr zu betrüben. Der tief gläubige jüngere Kollege deutete, so erzählt es Josef Suk, diese Aussage als religiösen Skeptizismus. Mindestens so plausibel ist es, Brahmsens philosophische Lektüre weltanschaulich zu deuten. Das würde erklären, warum gerade die Musik der späteren Jahre so resignativ, melancholisch, traurig klingt.
Endlich findet der Spätestromantiker Walter Braunfels (1882-1954) die ihm zukommende Anerkennung. Dies ist vorrangig dem Einsatz des bekannten Architekten Stephan Braunfels für das Schaffen des Großvaters zu verdanken. Das Minguet-Quartett bietet jetzt erstmalig das Streichquintett und alle drei Streichquartette des Komponisten auf einem Doppelalbum, das als Co-Produktion mit dem Deutschlandfunk entstand.
Um es gleich vorwegzunehmen: Diese Veröffentlichung gehört zu den erstaunlichsten Debüt-CDs eines – mit 37 Jahren nicht mehr ganz – jungen Pianisten der letzten Jahre. Der aus einer Musikerfamilie stammende Burak Çebi erlernte das Klavierspiel zunächst in Izmir und studierte dann in Nürnberg. Dass er zudem etliche Meisterkurse absolviert hat und Preisträger zahlreicher Wettbewerbe ist, scheint ja heute selbstverständlich. Die Zusammenstellung der randvollen CD mit Werken türkischer Komponisten und Schuberts letzter Sonate scheint zunächst etwas gewagt, zeigt aber dann schnell die außergewöhnlichen Qualitäten des Interpreten.
Bei dieser Aufnahme stimmt alles: ein klug ausgewähltes Programm eines hervorragenden Barockkomponisten, stilsichere Interpreten, die mit viel Herz, aber auch wissenschaftlich fundiert agieren, und eine Aufnahmetechnik, die wirklichen Rundumraumklang bietet. Masaaki Suzuki kennt man als herausragenden Bach-Spezialisten, hier präsentiert er sich als Barock-Spezialist, der auch die Orgel beherrscht: Den Klang der Krigbaum-Orgel in der Marquand Chapel der Yale University rückt er geradezu prunkend ins Licht.
Dieser Klang – ein Universum! Eigentlich sind es nur einzelne Töne, die mehr oder weniger unverbunden nebeneinander stehen. Text? Der besteht nur aus einzelnen Buchstaben oder Fetzen von einzelnen Silben. Letztendlich ist er genauso unverständlich wie unwichtig. Auf den Klang kommt es an und den Prozess, den die Musik durchläuft. Das hat der Chor des Lettischen Rundfunks unter der Leitung von Sigvards Klava ganz offensichtlich verinnerlicht, denn der Sog, den ihre Interpretation der Chormusik von John Cage entfaltet, ist unwiderstehlich.
Christoph Hartmann, Matthias Rácz und Alina Kirichenko präsentieren auf ihrer neuen CD Kammermusik für Oboe und Fagott, die in zwei Werken durch das Klavier zum Trio erweitert wird. In ihrer Stilistik basieren die vier Kompositionen – obwohl zwischen 1926 und 2019 entstanden – auf der Ästhetik des französischen Neoklassizismus der 1920er Jahre, der klassische und barocke Klangfiguren auf ironisch-witzige Weise elegant mit populären Idiomen aus Café Chantant und Music Hall verwob.
So ein intelligentes Programm hat wohl noch keine Zwanzigjährige für ihre Debüt-CD gewagt! Sophie Wang und Florian Glemser hätten ihr Duo-Album mit Werken des Ehepaars Schumann und dessen Freundeskreises auch „Joachimiana“ nennen können, stehen doch alle Werke in einem speziellen Zusammenhang mit deren Freundschaft zum ungarischen Geiger Joseph Joachim. 6 Romanzen und 2 Sonaten verlangen Gestaltungskraft, Farben, Kraft und Zartheit. Damit die Bravour nicht zu kurz komme, beschließt die variierte Romanze Letzte Rose des von Joachim bewunderten Heinrich Wilhelm Ernst die CD.
Die Couperins waren die bedeutendste Musikerdynastie des französischen Barocks; 173 Jahre lang stellte die Familie die Organisten der Kirche St. Gervais in Paris. Armand-Louis Couperin (1727-1789) war der Neffe von Louis Couperin (1926-1661) und Vetter von François Couperin «Le Grand» (1668-1721). Armand-Louis erbte die Stelle an St. Gervais von seinem Vater Nicolas, der 1748 starb. 1773 gab er sie auf; er überließ sie und die damit verbundenen Pflichten seinem Sohn Pierre-Louis als Nachfolger. Auch danach entfaltete Armand-Louis allerdings eine umfangreiche Tätigkeit als gefeierter Virtuose auf der Orgel und am Cembalo.
American Violin Sonatas by Previn • Schemmer • Gay
BIS 2545
1 CD/SACD stereo/surround • 71min • 2018
15.01.2022 • 10 10 10
Der Geiger Aleksey Semenenko und der Pianist Artem Belogurov können mit drei neueren amerikanischen Violinsonaten – von André Previn, Tony Schemmer und Paul Gay – total begeistern. Mit Verve und genau dem richtigen Tonfall für typische US-Idiome gelingt hier eine faszinierende Entdeckungsreise, auch aufnahmetechnisch überragend.
Haben Sie den Namen Berthold Damcke schon einmal gehört? Nein! Ich auch nicht, bevor ich nicht diese hinreißende Doppel-CD des Pianotrios Then Berg – Yang – Schäfer zur Besprechung erhielt. Diese stellt – wie bei vielen heute zu Unrecht vergessenen Komponisten – die Frage, ob romantische Musik nicht auch einmal elegant und gefällig sein und Freude bereiten darf, ohne dabei ins Triviale oder Kitschige abzugleiten.
Die gute Nachricht zuerst: Mit dieser CD ist die dritte Folge der Einspielung des Orgelwerkes von Johann Nepomuk David durch Roman Summereder erschienen. Die schlechte: Es soll die letzte sein. Das ist ausgesprochen schade, denn es gibt derzeit keinen anderen Interpreten, der sich so glutvoll für diese oft unterschätzte Musik ins Zeug legt wie Summereder, das zeigt auch die dritte Folge der Trilogie sehr nachdrücklich. Noch einmal wird hier die enorme Bandbreite des Davidschen Orgelschaffens verdeutlicht, das längst nicht so verkopft und akademisch ist, wie oft behauptet wird.
Gerade einmal 22 Jahre ist er jung, der Pianist, Cembalist und Organist Aurel Dawidiuk. Bereits in diesem jugendlichen Alter kann er schon auf eine beachtliche Karriere blicken: Nachdem er mit sechs Jahren den Weg zum Klavier fand, war er bereits mit 14 Jahren Jungstudent bei Roland Krüger in Hannover sowie Orgelschüler bei Martin Sander in Detmold. Seitdem hat er in zahlreichen renommierten Sälen weltweit gespielt, unter anderem in der Elbphilharmonie, dem Pierre Boulez Saal Berlin, dem Konzerthaus Dortmund, außerdem in Russland, Nordirland, Frankreich und Österreich. Zahlreich sind auch die Preise, die er gewonnen hat sowie die Stipendien, die er erhielt
Der Personalstil von Albena Petrovic ist eigenwillig. Getragen von einem raffinierten, aber nie zum Dogma erhobenen Minimalismus entfalten Töne, Motive und Klänge einen weiten, rezitativischen Atem. Metrische Konstrukte würden den natürlichen Fluss nur einengen. Das alles ist kein Selbstzweck, denn auch in Albena Petrovics rein instrumentalen Stücken will immer etwas zum „Sprechen“ gebracht werden, fast so, als würden die instrumentalen und manchmal auch vokalen Stimmen Theaterdarsteller auf einer weiten imaginären Bühne sein.
Was für eine Energie strahlt aus diesem Klarinettensound! Seit 60 Jahren steht der ungarische Klarinettist Lajos Dudas mittlerweile auf der Bühne und durchmisst alle Horizonte zwischen stilistischen oder auch geographischen Fixpunkten. Eigentlich wollte der mittlerweile 80jährige kein neues Album mehr veröffentlichen – aber nun folgt doch die 25. Veröffentlichung, in der sich Dudas in gut sortierter Retrospektive zur eigenen Vielseitigkeit bekennt.
Anton Eberl (1765-1807) …? Wieder so ein Unbekannter, der beeindruckende Musik schrieb, jedoch zumeist – wie auch seine Mitschüler bei W. A. Mozart, Josef Wölfl und Johann Nepomuk Hummel – nur im Zusammenhang mit der Entwicklung des Klaviervirtuosentums im 19. Jahrhundert Erwähnung findet. Umso dankenswerter ist es, dass sich das mehrfach mit „Klassik-ECHOs‟ ausgezeichnete casalQuartett seines einzigen, dem russischen Zaren Alexander I. gewidmeten Opus für Streichquartett angenommen hat.
Die Churköllnische Hofkapelle des in Bonn residierenden Kölner Kurfürsten Maximilian Franz war um 1790 eines der größten Orchester Deutschlands, das daraus sich gründende achtköpfige Bläserensembles eines der glanzvollsten, die damit gespielte Harmoniemusik, „Unterhaltungsmusik“ im besten Sinne. Das hört man auf dieser CD, auf der die kurkölnische Tradition fortgesetzt wird: Alle Bläser sind Mitglieder des Beethoven Orchesters Bonn, das „in gewisser Weise legitimer Nachfolger“ dieses ‚Bonner Ur-Orchesters‘ ist“ – so formuliert es launig das Booklet.
Die Ersteinspielung der 2005 komponierten und im Januar 2007 in der Münchner Musica viva vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Christoph Poppen uraufgeführten 4. Symphonie ist das Hauptereignis dieser neuen Portrait-CD des schwedischen Komponisten Anders Eliasson (1947-2013), den viele Kenner für den überragenden Komponisten seiner Generation halten. Die 4. Symphonie unterstreicht derlei Einschätzung nachdrücklich, gelingt es Eliasson doch auch hier, über 27 Minuten in einem Satz eine kontinuierlich zusammenhängende dynamische Formentwicklung von enormer Spannkraft zu schaffen
„Fanfaronade“ – ausgerechnet die Bezeichnung für eine „großspurige Prahlerei“ erwählt sich dieses Programm französischer Kammermusik für Gambe und Begleitensemble als Titel. Damit qualifiziert es die Musik, die Juliane Laake auf der Gambe mit ihrem Ensemble Art d’Eco hier vorstellt, als ambitionierte Kammermusik der Epochen Ludwigs XIV., des Sonnenkönigs, und Ludwigs XV., seines Urenkels und Nachfolgers auf dem französischen Thron. Mit Kompositionen von Antoine Forqueray (1672-1745) und Marin Marais (1656-1728) präsentiert die Künstlerin Meisterwerke, die in der Diskographie des französischen Grand Siècles bereits verschiedentlich erschienen sind.
Ein Provinzorganist und Kleriker schlägt eine Brücke zwischen Charles Marie Widor und Maurice Duruflé. Hochvirtuos und dankbar für den Interpreten. Kompositorisch gekonnt und emotional abwechslungsreich. Mit Liebe und Verstand gespielt.
Martinus Ræhs (1702-1766) – in Dänemark auch häufig mit seinem dänischen Vornamen „Morten“ benannt – teilt sein Schicksal mit vielen Komponisten seiner Generation: zu Lebzeiten in bedeutenden Stellungen tätig gewesen zu sein, nach seinem Tod hingegen einer völligen Vergessenheit anheimzufallen. Er wuchs als Sohn von Morten Ræhs dem Älteren (gest. 1733) in einer musikalische Familie auf, sein Vater war Stadmusiker in Mitteljütland und erlangte später den Posten als Chef der Stadtmusik in Aarhus. Diese Stellung vererbte er an seinen Sohn Martinus (Morten), dessen solistisches Hauptinstrument die Traversflöte war.
Überlegt und mit viel Sinn für Details spielt der Pianist Alexander Gadjiev ein breites Programm von Miniaturen (exil-)russischer Komponisten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei ist insbesondere sein Einsatz für die Musik von Prokofjews Lehrer Nikolai Tscherepnin und dessen Sohn Alexander hervorzuheben, hier in mustergültigen Interpretationen vorgestellt.
Thematisch ist diese CD kein Gute-Laune-Macher, wenn es da heißt: „Ich freue mich auf meinen Tod“, musikalisch aber ein reiner Freudenbringer – wie schon die beiden anderen Aufnahmen von BachWerkVokal aus Salzburg unter ihrem Leiter Gordon Safari. Und wieder ist sie sorgfältig und in sich stimmig konzipiert: „Genug“ ist eine musikalische Meditation über das Lebensende und damit über das Leben schlechthin in vielen Chorformen und auch Liedern.
Ludwig Finscher hebt die Bedeutung der Klaviersonaten von Joseph Haydn hervor: „Haydn etabliert versuchsweise und vorübergehend die Klaviersonate als Gegensatz zur Symphonie.“ (in: Ludwig Fischer, Joseph Haydn und seine Zeit, Laaber 2002, S. 428). Soweit muss man nicht gehen, aber Christian Zacharias versucht Ähnliches in seiner Zusammenstellung von vier Klaviersonaten auf dieser CD. Er widmet sich mit großer Sorgfalt, liebevoller Hinwendung und genauer Phrasierung dem graziösen Witz und schier unendlichen Einfallsreichtum dieser Klaviermusik.
500 Jahre Heimatlieder und -gedichte Daniel Behle • German Hornsound • Mario Adorf
Prospero PROSP0052
2 CD • 1h 34min • 2021, 2022
08.11.2022 • 10 10 10
Entspannte wie nachdenkliche Beiträge zu einem Thema, das im Laufe der Geschichte aus sehr unterschiedlichen Perspektiven betrachtet wurde. Der Tenor Daniel Behle findet in diesem facettenreichen Kompendium überall den richtigen Ton.
Dass Fanny Hensel (1805-1847), die Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy, auch komponiert hat, weiß man mittlerweile. Aber was heiß da „auch“! Schließlich hat sie mit über 460 Werken mindestens soviel komponiert wie Felix. Erst seit ca. 1980 wird ihr Werk systematisch erforscht. Den Zyklus Das Jahr – zwölf Charakterstücke für Klavier hat Fanny Hensel 1841 geschrieben, zum ersten Mal öffentlich gespielt wurde er 1987 und veröffentlich wurde er erst 1989! Dieser farbige Reigen von Charakterstücken mit einer Dauer meist zwischen drei und vier Minuten ist nicht nur klangschön, sondern auch klug, kontrast- und kenntnisreich komponiert.
Ganz neu, ganz eigenwillig und ganz kühn geht Tobias Koch an die frühen Beethoven-Sonaten heran, indem er sich an Carl Philip Emanuel Bachs „Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen“ orientiert. Koch verziert, überrascht und verfremdet scheinbar Beethovens Musik, so dass sie wieder wie neu erklingt, und nähert sich damit Beethovens Genius vielleicht näher an als ganz buchstabengetreue Interpretationen.
Nein, verrückt wird hier keiner, auch wenn die CD des Geigers Tassilo Probst und des Pianisten Maxim Lando mit „Into madness“ betitelt ist. Aber verrückt ist es schon, was die beiden jungen Interpreten hier leisten, denn sie spielen Stücke, die zu spielen wirklich im beste Sinne verrückt erscheint: Béla Bartóks posthume, 1903 komponierte Violinsonate, George Enescus dritte Sonate und die zweite Sonate von Joseph Achron, Raritäten allesamt.
Johann Gottlieb Janitsch (geboren 1708 im schlesischen Schweidnitz, gestorben 1763 in Berlin) war schon zu seiner Zeit kein berühmter Komponist, heute ist er ganz vergessen – aber nicht so, dass er nicht doch einen Wikipedia-Artikel hätte, und auch nicht so, dass nicht ein Ensemble seiner gedächte, wie hier die Berlin Friday Academy, die ihren Namen wohl der „Freitagsakademie“ entlehnt hat, die Janitsch sowohl beim Kronprinzen Friedrich in Rheinsberg als auch später in Berlin institutionalisiert hat.
Die Gesamtaufnahme der Symphonien des in Lettland geborenen, nach seinen Studien in Riga und Paris ab 1951 in Kanada ansässigen Komponisten Tālivaldis Ķeniņš (1919-2008) auf Ondine schreitet voran. Und mit jeder CD erscheinen einerseits neue Aspekte dieses hochinteressanten – nach eigener Einschätzung – Eklektikers, der freilich über ein ganz außerordentliches Handwerk aller modernen Techniken verfügte.
Eine musikalische Reise durch das Kirchenjahr Orgelimprovisationen von Ruben J. Sturm
Ambiente-Audio ACD-3060
1 CD • 78min • 2022
06.12.2022 • 10 10 10
Sie ist das tägliche Brot für viele Organisten: die Improvisation. Zum Einzug, während unzähliger Gottesdienste und auch als „Rausschmeißer“ ist oft genug das musikalische Geschick von Organisten gefragt, die liturgische Stimmungen aufgreifen, den Gemeindegesang vorzubereiten und zu unterstützen und auch mal die ein oder andere liturgische Lücke zu überbrücken. Dabei ist allerdings kein sakraler Muzak gefragt, sondern liturgisches Orgelspiel, das auf Zeit, Ort und Gelegenheit eingeht. Ein wahrer Meister dieser Kunst ist Ruben J. Sturm, der seit kurzem als neuer Domorganist am Münchner Liebfrauendom amtiert.
Mit diesem achten Teil geht eine besonders verdienstvolle Edition barocker Kirchenmusik zuende: die des geistlichen Gesamtwerks von Johann Kuhnau (1660–1722), des Vorgängers von Johann Sebastian Bach als Leipziger Thomaskantor. Was für ein prestigeträchtiger Posten das war, zeigt sich allein schon an der Liste der berühmten Bewerber; Telemann und Graupner wären als Beispiele zu nennen, denn der Leipziger Rat hätte 1723 lieber einen dieser beiden in Kuhnaus Nachfolge berufen: „Da man nun die besten nicht bekommen könne, müsse man den mittleren nehmen...“ kommentierte Ratsherr Platz die Wahl Bachs im Protokollbuch. Telemann hatte in Leipzig studiert und dort mit der Gründung des Collegium Musicum ein Orchester ins Leben gerufen, dessen sich noch Bach bedienen sollte.
Zusammengebracht hat sie niemand geringerer als Daniel Hope in seiner Sendung „Hope@home“, in der er Musikerinnen und Musiker quasi ins heimische Wohnzimmer einlud in Zeiten, in denen an ein öffentliches Auftreten vor Publikum nicht zu denken war. Nun bringen der junge französische Bratschist Adrien La Marca und die deutsche Pianistin mit griechischen Wurzeln, Danae Dörken, ihr erstes gemeinsames Album heraus. „Chanson bohème“ ist der Titel und zugleich das Programm.
Die Zählung der – vermutlich – acht Gattungsbeiträge der erfolgreichsten Symphonikerin des 19. Jahrhunderts, Emilie Mayer (1812-1883), bedarf einer Erläuterung. Denn obwohl Mayer als ledige, vermögende Erbin unabhängig als Komponistin arbeiten konnte – damals quasi ein Alleinstellungsmerkmal – und ihre Musik zu Lebzeiten durchaus geschätzt wurde, blieb auch ihr Werk zum Teil ungedruckt. Bei den Symphonien wurde so die Instrumentation der vierten (h-Moll) aus dem lediglich erhaltenen Klavierauszug erst kürzlich rekonstruiert. Die Fünfte in D-Dur gilt als verloren, die Existenz einer 8. Symphonie (in F-Dur?) als ungesichert. Bis Anfang 2022 fehlte von den erhaltenen Stücken noch eine Einspielung der 3. Symphonie C-Dur, was aber in diesem Jahr gleich dreimal nachgeholt wurde. Von der hier ebenfalls zu besprechenden 7. Symphonie f-Moll gibt es bereits einen Live-Mitschnitt von 2001, der allerdings fälschlich als „Nr. 5“ auf CD veröffentlicht wurde.
The Yiddish Songs from the Operetta by Christian von Götz
Ars Produktion ARS 38 614
1 CD • 51min • 2022
13.07.2022 • 10 10 10
Eine yiddische Operette im Broadway-Stil der 1910er Jahre, kompiliert aus zahlreichen Kompositionen heute unbekannter Komponisten - voller Witz und Tiefgang, und von Sängern und Instrumentalisten mitreißend umgesetzt.
Es ist eine ungewöhnliche Instrumentenkombination, die das Lux Nova Duo zu bieten hat: Das Duo, bestehend aus dem peruanischen Gitarristen Jorge Paz Verastegui und der deutschen Akkordeonistein Lydia Schmidl, hat sich 2012 gegründet. Seitdem sind zahlreiche Arrangements bereits vorhandener Werke entstanden, die das Duo gerne auch selbst vornimmt, aber auch alleine 35 neue Werke, die das Duo aus der Taufe gehoben hat. Mit seiner ungewöhnlichen Besetzung und gekonntem Zusammenspiel ist das Duo ausgesprochen erfolgreich und konzertierte bereits in bedeutenden Konzertsälen Europas und Südamerikas.
In Olivier Messiaens Quatuor pour la fin du temps ist die Bezeichnung „Quartett“ in dem Sinne zu verstehen, dass zur vollständigen Umsetzung des Werkes vier Musiker nötig sind. Allerdings sind nur in vier der acht Sätze alle Instrumente zu hören. Bei den übrigen handelt es sich um ein Solo für die Klarinette (Nr. 3), zwei Duos für Violine bzw. Violoncello und Klavier (Nr. 5 und Nr. 8) und ein Trio ohne das Klavier (Nr. 4). Da allerdings im zweiten Satz nur zu Beginn und am Schluss kurz das ganze Quartett spielt, es sich ansonsten um ein klavierbegleitetes Unisono von Violine und Cello handelt, und der sechste Satz gar ein durchgehendes Unisono aller vier Instrumente ist (also im Grunde ein Solo wie der dritte), beschränkt sich die Zahl der Sätze, in denen alle Instrumente selbstständig geführt werden, auf zwei.
Die Krönung der Poppea – L’Incoronazione di Poppea ist die Krönung des Operschaffens von Claudio Monteverdi (1567-1643), ihre Uraufführung fand im venezianischen Teatro Santi Giovanni e Paolo während der Karnevalsaison 1643 statt; Monteverdi starb am 29. November desselben Jahres. Etliche Einspielungen seit den 1950er Jahren haben die Unsterblichkeit der Krönung der Poppea bestätigt, sie in der Diskographie etabliert und alle stilistischen Adaptationen dieses Gipfelpunkts der Barockoper dokumentiert
Eine weitere Aufnahme von Mozarts Haffner-Serenade ? 670 Treffer ergibt allein schon die Suche bei jpc. Thomas Schipperges im „Mozart-Handbuch“ beschreibt diese Serenade so: „Das Stück ist ein Aushängeschild dieses Genres und zudem auch der Kunst Mozarts. Keine der bisherigen Serenadenmusiken Mozarts bietet ausgedehntere Sätze, eine ausgefeiltere sinfonische Faktur und üppigeren orchestralen Glanz…eine Stunde vollkommenster Musik“. Als ich dann diese Aufnahme mit den Festival Strings Lucerne auflegte, erlebte ich wirklich eine Stunde vollkommenster Musik. Besser geht’s wohl nicht.
Für die vierte Folge seiner Gesamteinspielung der Mozart-Quartette kombiniert das Armida-Quartett drei frühe 1773 – kurz nach dem Lucio Silla – in Mailand entstandene Werke mit dem dissonanten Abschluss der 6 Haydn gewidmeten Kompositionen. Als Textgrundlage dient die Neuedition der Werke nach dem Autograph. Der Band mit den Mailänder Quartetten erschien mit beratender Mitwirkung der Armidas im Frühjahr dieses Jahres, ist also quasi druckfrisch.
Mozart auf der Orgel, das ist eigentlich schon ein ziemlich abgegrastes Feld – könnte man denken. Viel hat er ja nicht für dieses Instrument geschrieben, das er eigentlich sehr geschätzt hat; genau genommen noch nicht mal ein einziges Werk, da die bekanntesten Werke für ein Orgelwerk in einer Uhr, also eine Spieluhr mit mechanischem Antrieb, komponiert wurden. Es hat sich die Tradition eingebürgert, diese Werke auf die Orgel zu übertragen, nicht ohne Grund und durchaus anspruchsvoll, wenn man mal die zum Teil horrenden spieltechnischen Schwierigkeiten dieser Stücke betrachtet. Der Rest des landläufig eingespielten mozartschen Orgelrepertoires setzt sich aus Transkriptionen zusammen, doch etwas wirklich Neues gab es hier schon länger nicht mehr – bis jetzt.
Muss es denn ewig Mozart sein? Auch mitteldeutsche Komponisten der Klassik zeugten schöne Töchter und bereiteten auf diese Weise der Romantik den Weg. Brillante, spannende und subtile Werke der Übergangszeit in exzellenter Interpretation.
Johann Daniel Pucklitz (1705-1774) war Danziger Bürger und in seiner Vaterstadt ein Hansdampf in allen Gassen: Kellermeister und Ratsmusiker, Impresario und Musikmanager, Konzertveranstalter und Komponist – und überdies ein tiefgläubiger evangelischer Christ. Sein auf eigene Kosten und somit eigenes Risiko entstandenes Œuvre präsentierte er seinen selbstbewussten Mitbürgern; dabei hinterließ er auch etliche geistliche Kompositionen:
Musikproduktion Dabringhaus & Grimm hat jetzt die gesamten Studies for Player Piano des amerikanischen Komponisten Conlon Nancarrow (1912-1997), die zwischen 2006 und 2009 zunächst auf fünf Einzel-CDs innerhalb der Reihe „Player Piano“ veröffentlicht worden waren, in einer preiswerten Box zusammengefasst. Eine gute Gelegenheit, sich diese Schätze nochmals anzuhören. Der Begriff der Etüde – also eines Übungsstückes zur Erarbeitung und Konsolidierung technisch-musikalischer Fähigkeiten – scheint zunächst einmal in Verbindung mit Selbstspielklavieren paradox, passt jedoch im Fall von Nancarrows Studies (ca. 1949-1987) durchaus.
Ungefähr gleichaltrig mit Goldmark, Brahms und Borodin, rund ein Jahrzehnt älter als Svendsen und Grieg, gilt der 1831 geborene Schwede Ludvig Norman als herausragendster schwedischer Komponist seiner Generation. Obwohl er den Großteil seiner Musikerlaufbahn als Chefdirigent der Königlichen Oper in Stockholm zubrachte, widmete er sich als schaffender Künstler vorrangig der Instrumentalmusik. Neben zahlreichen Kammermusikwerken in verschiedenen Besetzungen, komponierte Norman auch drei Symphonien und kürzere Orchesterstücke. Eine Auswahl davon präsentiert die Oulu Sinfonia unter der Leitung Johannes Gustavsons auf der vorliegenden CD.
Virtuoso Lute Music from Nuremberg Magnus Andersson
klanglogo KL1537
1 CD • 66min • 2019
31.05.2022 • 10 10 10
Magnus Andersson, 1981geborener schwedischer Lautenist, hat auf vielen Einspielungen als Mitglied von Continuo-Ensembles gewirkt und sich schon damit einen verdienten Platz unter den vorzüglichen Solisten seines Instruments errungen. Auf dieser CD legt er ein Soloprogramm für Laute vor, das Musik aus Nürnberg vereint, einer der führenden Kulturstädte der Spätrenaissance und des Frühbarocks. Nürnberger Drucke von Musik dieser Zeit enthalten ein breites Repertoire verschiedenster europäischer Nationen und belegen die kulturelle Bedeutung der Stadt; auch die Literatur für Laute zeigt sich in Nürnberger Musikdrucken und in handschriftlicher Überlieferung des 16. und 17. Jahrhunderts in beeindruckender Reichhaltigkeit.
Alchemie der Klänge - Das Heidelberger Tabulaturbuch auf die Lauten
cpo 555 267-2
1 CD • 60min • 2019
03.01.2022 • 10 10 10
Niemand kennt heute noch Sebastian Ochsenkun (1521-1574) – das mag an seinem Instrument, der Laute, liegen, die bis in das Zeitalter des Barocks zu den Hauptinstrumenten eines jeden Ensembles gehörte, im Verlauf des 18. Jahrhunderts aber schnell an Bedeutung verlor. Spätestens dann geriet Ochsenkuns Musik in Vergessenheit – ganz unverdientermaßen, wie diese CD zeigt, die seinem bemerkenswerten Schaffen gewidmet ist.
Dass Trompete und Orgel eine reizvolle Klangkombination ergeben, ist mittlerweile Allgemeingut. Aber Posaune und Orgel? Gibt es für diese Besetzung überhaupt Literatur? Nun, von den „großen“ Komponisten sicherlich nicht. Wenn man jedoch lang genug gräbt, stößt man auf den Nachlass des ersten deutschen Professors für Posaune, Paul Weschke (1867-1940), der sich in der Berliner Staatsbibliothek befindet und einige reizvolle Werke bietet. Hierbei handelt es sich um Kompositionen, die von Posaunisten für den Eigenbedarf geschrieben wurden, sich im Rahmen des romantischen Virtuosenstücks bewegen und teilweise fremdes Material spieltechnisch anspruchsvoll paraphrasieren.
Summary Vol. II Bartók, Debussy, Kodály, Martinů, Mendelssohn, Schumann
Tacet S 268
1 CD/SACD stereo/surround • 77min • 2020, 2021
18.06.2022 • 10 10 10
Der große ungarische Cellist Miklós Perényi zählt mit seinen 74 Jahren mittlerweile sicherlich zu den Altmeistern seiner Zunft, und so hat ihn das Label Tacet für die zweite Folge des neuen Projekts „Summary“ ausgewählt, die das Alterswerk herausragender Musiker und Ensembles präsentiert. Das Resultat ist ein Programm, das ganz von Perényis persönlichen Vorlieben geprägt ist, eine bunte Palette, die von deutscher Romantik bis hin zu Perényis Landsmännern Bartók und Kodály reicht.
Tiefe Streicher, die sich aus der Tiefe hervorarbeiten, hinzu kommen immer mehr weitere Streicher, doch so ganz will man das Stück noch nicht wiedererkennen. Es handelt sich um Astor Piazzollas Tangazo, das auf der neuen CD von Isabelle van Keulen mal ganz anders erklingt. Für die niederländische Geigerin ist die bei Berlin Classics erschienene Aufnahme eine Herzensangelegenheit: 2011 gründete sie gemeinsam mit dem Bandoneonisten Christian Gerber, dem Kontrabassisten Rüdiger Ludwig und der Pianistin Ulrike Payer das Isabelle van Keulen Ensemble, mit dem sie sich auf Tango nuevo und vor allem die Musik von Astor Piazzolla spezialisiert hat.
Ob man es nun Schicksal oder Zufall nennt, manchmal nimmt das Leben seltsame Wendungen, die aber weitreichende Auswirkungen haben können. Etwa im Falle von Astor Piazzolla: der argentinische Komponist verbrachte seine Kindheit in New York, wo sein Vater Frisör war und er bei einem ungarischen Nachbarn, einem Komponisten, Musikunterricht bekam. Als Gegenleistung wurde dieser von der Mutter Piazzollas verköstigt. Ein zweifelsohne ungewöhnliches Honorar, das sich langfristig aber zweifellos bezahlt machte. Piazzollas frühe musikalische Bildung hatte noch nicht das Geringste mit Tango zu tun, doch genau dafür wurde er später berühmt.
In einer grandiosen Pioniertat erweckt das Quartett Berlin-Tokyo das Streichquartett von Gawriil Popow aus einem 70-jährigen Dornröschenschlaf. Ein eindrucksvolles Plädoyer für ein Werk von monumentalen Dimensionen und expansiver Expressivität, ganz im Sinne seines Titels eine wahre "Quartett-Sinfonie".
Grand Concert • Theme and Variations • Souvenir de Norvège
BIS 2570
1 CD/SACD stereo/surround • 74min • 2020
21.01.2022 • 10 10 10
Kaum jemand in der Musikszene kennt heute den Namen Anton Edvard Pratté, es sei denn, er oder sie wäre auf Harfenmusik spezialisiert. Seine Lebenszeit währte von 1796 bis 1875, und zu Lebzeiten gehörte er zu den berühmtesten Harfenvirtuosen. Geboren wurde Pratté im böhmischen Haida (heute Nový Bor in Tschechien) unter dem Namen Johann Georg Pratte als Sohn von Anton Pratte, der seinen tschechischen Namen Antonín Brát bereits eingedeutscht hatte und ein reisendes Puppentheater betrieb.
Severin von Eckardstein, mit mittlerweile 43 Jahren eigentlich nach wie vor ein Pianist der jüngeren Generation, hat sich während seiner gesamten bisherigen Laufbahn immer wieder für russische Komponisten wie Skrjabin, Glasunow oder Medtner eingesetzt. Mit seiner neuesten Veröffentlichung knüpft er daran an, indem er sich nun mit Sergei Prokofjews Klaviersonaten Nr. 6 bis 8, den sogenannten „Kriegssonaten“, drei Gipfelwerken der sowjetischen Klavierliteratur widmet. [...]
Dieser Pianist ist eine Entdeckung – und es ist selten, dass sich so etwas schon bei den ersten Tönen in solcher Klarheit offenbart: Julius Asal transportiert in seinem Spiel elementare Energien, denen es an künstlerischer Überzeugungskraft niemals fehlt. Auch und gerade, wenn er bei seinem Programm für dieses CD-Debüt in bestem Sinne „groß“ denkt. Es geht auf dieser Aufnahme um Sergej Prokofievs gesamte Ausdrucksbandbreite.
Öfter zitiert als durchdacht wird Goethes Skriptum über das Quartettspiel, man höre da „vier vernünftige Leute sich untereinander unterhalten“ und „glaubt, ihren Diskursen etwas abzugewinnen“: passiert doch in den Streichquartetten von Haydn und Mozart soviel an sprachlichem Handeln gleichzeitig, dass eher handfeste Sprachverwirrung herrschen würde. Perfekt hingegen passt die Diskursmetapher auf das vorliegende Album mit Fantasias von Henry Purcell, dessen Musik Goethe im Rahmen der damals grassierenden Shakespeare-Begeisterung kennengelernt hat.
In eigenen Bearbeitungen stellt der junge Bratschist Mathis Rochat Werke von Sergei Rachmaninow auf der Viola vor. Zentrum des Albums ist die mit vollem, sonoren Ton hinreißend dargebotene Cellosonate, während eine Reihe von lyrisch-filigranen Liedbearbeitungen Zeugnis von Rochats Wandlungsfähigkeit ablegt.
Die russisch-orthodoxe Liturgie zeichnet sich von jener durch einen besonders erhabenen und würdevollen Gestus aus. Oft dauern die Liturgien Stunden, die die Gläubigen eisern im Stehen absolvieren müssen. Auch die musikalische Seite ist für katholisch oder evangelisch sozialisierte Christen immer wieder faszinierend: Instrumente fehlen ganz und auch die Faktur der zu hörenden Chormusik ist deutlich schlichter als hierzulande. Wobei schlichter nicht anspruchsloser meint, denn das ist diese Musik gewiss nicht.
Oxana Shevchenko und Christoph Croisé feiern in ihrem zweiten gemeinsamen Album den schweizerischen Komponisten Joachim Raff, der vor 200 Jahren am Ufer des Zürichsees das Licht der Welt erblickte. Er gehörte zu Lebzeiten zu den im deutschen Sprachraum meistaufgeführten Tonkünstlern. Sein Ruhm verblasste nach seinem Tod 1882 jedoch schnell. Heute kennt man allgemein nur noch seine Cavatina op. 85,3 als sentimentales Encore der Geiger.
Nach Amy Beachs Schaffen für Klavierduo auf cpo im Jahre 2021 haben sich Aglika Genova & Liuben Dimitrov nun sämtlicher Werke für zwei Klaviere Carl Reineckes (1824-1910) angenommen – immerhin gut drei Stunden Musik, über deren Qualitäten sich die Preisträger des ARD-Musikwettbewerbs 1996 im Booklet der Box geradezu euphorisch äußern. Reinecke, aus Altona stammend, galt, obwohl später lange in Leipzig tätig – alleine 35 Jahre als Gewandhauskapellmeister –, als stramm konservativ. Trotz der Freundschaft mit Liszt lehnte er die Programmmusik der Neudeutschen Schule ab und orientierte sich zeitlebens an der Wiener Klassik,
Das Cover zeigt ein Mädchen, das neugierig in eine Schatztruhe schaut. Und tatsächlich gleicht diese CD einem klingenden Schatz. Der schottische Pianist Kenneth Hamilton spielt eine Auswahl von Zugaben; jedes Stück ist ein kleines Juwel. Das Album wirkt geradezu wie Balsam für die Seele. Keinesfalls handelt es sich um eine jener Compilations, die eine Plattenfirma zur Steigerung der Verkaufszahlen beliebig zusammenspacken würde. Vielmehr bietet Hamilton eine durchdachte Reflexion über einen ganz besonderen Aspekt der Konzertaufführung.
Heinz Holligers über 60 Jahre währende Karriere als Oboist, Komponist, Pädagoge und Dirigent ist einzigartig. Mit dem vorliegenden Oboenprogramm kehrt der 82jährige zu seinen musikalischen Wurzeln zurück. Das Doppelrohrblatt der Oboe, weiterentwickelt aus den singenden Schilfrohren (roseaux chantants) archaischer Instrumente, bestimmt diese herrlich-originelle Produktion.
Nachdem der Rezensent hier vor knapp drei Jahren die Einspielung der drei letzten Klavierkonzerte (Nr. 3-5) von Camille Saint-Saëns mit Vater und Sohn Kantorow zur unangefochtenen Referenzaufnahme gekürt hatte, legen die beiden nun mit der finnischen Tapiola Sinfonietta, die zur Hauptstadtregion gehört, nach: Auf der neuen CD – mit 85 Minuten Überlänge – finden sich die noch fehlenden Klavierkonzerte Nr. 1 & 2 sowie alle vier übrigen Kompositionen Saint-Saëns‘ für Klavier und Orchester.
Betrachtet man die Würdigung, die Alessandro Scarlatti (1660-1725) und sein Sohn Domenico (1685-1757) heute genießen, gilt Vater Scarlatti als begnadeter Opernkomponist, Domenico verdankt seine Berühmtheit in erster Linie seiner Musik für Cembalo solo, von der er ein reiches Œuvre von mehr als 550 Kompositionen hinterlassen hat – Werke höchster Virtuosität, die zu den Juwelen der Claviermusik des 18. Jahrhunderts zählen.
Domenico Scarlatti wurde in dem für die Musikgeschichte so bedeutenden Jahr 1685 geboren, in dem auch J. S. Bach und G. F. Händel das Licht der Welt erblickten. Bedenkt man, mit welcher außerordentlichen Individualität sie ihre jeweilige künstlerische Sendung erfüllten, enthüllt sich das – inzwischen glücklicherweise meist veraltete, aber immer noch nicht ganz überwundene – Vorurteil der Gleichförmigkeit der Musik vor 1750 als pure Polemik im Dienste eines neu entdeckten „schöpferischen Individuums“.
Christoph Ulrichs monumentales Vorhaben der Einspielung aller 555 Klaviersonaten von Domenico Scarlatti (1685-1757) geht in eine neue Runde: Die vorliegende Doppel-CD vereint die Sonaten, die nach der Zählung sämtlicher Cembalosoanten Domenico Scarlattis durch den amerikanischen Cembalovirtuosen Ralph Kirkpatrick (1911-1984) die Nummern 266-295 tragen. Besitzer der gesamten Scarlatti-Edition von Christoph Ulrich werden eines Tages anhand der Nummern der einzelnen Volumina dieser Integrale dem Sinn der Anordnung dieses Monumentalœuvres durch Ralph Kirkpatrick, einem der bedeutenden Pioniere der Auferstehung barocker Cembalomusik auf dem dafür bestimmten Instrument, nachforschen können.
Vergleichsweise langsam kommt Christoph Ullrich mit seinem Projekt voran, alle Klaviersonaten von Domenico Scarlatti einzuspielen. Seit dem Beginn der Sitzungen 2011 sind erst insgesamt 14 CDs erschienen; mit den 30 Sonaten K. 236 – 265 der nun vorliegenden Folge Nr. 7 ist damit nach 11 Jahren noch nicht einmal die Hälfte des Sonaten-Kosmos´ erkundet. Dazu ist Christoph Ullrich zu gratulieren. Natürlich hat der erfahrene Pianist, bald Mitte sechzig, bei diesen Werken keine technischen Schwierigkeiten zu überwinden und könnte somit schon längst fertig sein.
Domenico Scarlatti teilt zwar mit J. S. Bach und G. F. Händel als Geburtsjahr das für die Musikgeschichte so bedeutsame Jahr 1685, und er ist genau in der Mitte zwischen beiden gestorben – Bach (1755), Händel (1759), Scarlatti (1757); dennoch war sein Nachruhm in der Folge lange nicht auf gleicher Höhe mit dem seiner beiden Kollegen. Ab der zweiten Hälfte 20. Jahrhundert wendete sich das Blatt: Er wurde als bedeutender Komponist anerkannt – besonders für die Geschichte der Claviermusik.
Das finnische Nationalepos Kalevala, das der Arzt Elias Lönnrot 1835 auf Grundlage selbstgesammelter Volksdichtungen geschaffen hatte, inspirierte ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Komponisten zu musikalischen Werken. Das Verdienst, die Geschichten der Kalevala-Gesänge international unter Musikfreunden bekannt gemacht zu haben, kommt dabei zweifelsohne Jean Sibelius zu, der sich von ihnen während seiner gesamten Schaffenszeit zu symphonischen Kompositionen inspirieren ließ (Kullervo-Symphonie, Lemminkäinen-Legenden, Pohjolas Tochter, Luonnotar, Tapiola).
Enjott Schneider ist einer der produktivsten Orgelkomponisten unserer Tage. Sechzehn Orgelsymphonien gehen auf sein Konto, zahlreiche andere Orgelwerke ebenfalls. Die hinreichend bekannte Toccata über Schlafes Bruder ist nur eines von vielen. Der Münchner Pianist und Organist Jürgen Geiger hat nun die 2. und die 15. Orgelsymphonie Schneiders aufgenommen, zusammen mit dem Zyklus Baumbilder, der sieben musikalische Portraits von Bäumen und deren Charakteristika umfasst.
Das Morgenstern Trio setzt seine Reihe mit kombinierten Einspielungen der Klaviertrios von Franz Schubert und Robert Schumann nach fünf Jahren fort. Bereits die erste Folge dieser Reihe war vom Kollegen Michael B. Weiß glänzend rezensiert worden. Nun kann ich mich seiner damaligen Einschätzung zu 100 Prozent anschließen, zumal die von ihm monierte Basslastigkeit hier vermieden wurde. Es handelt sich um eine der seltenen Aufnahmen, die sich spontan als so schlüssig erweisen, dass das Bedürfnis nach Vergleichen gar nicht erst aufkommt, so herrlich leuchtete der Morgenstern alles aus.
Mihaela Martin und Elena Bashkirova wählten für ihre erste gemeinsame CD die drei gemeinhin als „Sonatinen“ bezeichneten „mozartisierenden“ Violinsonaten aus dem Jahre 1816 von Franz Schubert sowie dessen zehn Jahre später entstandenes Rondo brillant op. 70. Es gelang ihnen eine farblich reiche, lyrisch-gesangliche, anrührende und – wo erforderlich – temperamentvolle Interpretation. Schubert war bereits mehrfach mit großangelegten Klaviersonaten gescheitert und hatte diese unvollendet zur Seite gelegt, als er sich entschloss, drei Duo-Sonaten mit geringeren technischen Anforderungen in der Nachfolge Mozarts und Haydns zu komponieren.
Es ist vermutlich der am leidvollsten vermisste Schatz der deutschen Barockmusik: Die Musik zur ersten Oper in deutscher Sprache – Dafne, geschrieben von Heinrich Schütz auf ein Libretto von Martin Opitz, einem der bedeutendsten Dichter der deutschen Barockliteratur. Opitz und Schütz waren fürwahr ein Künstlerpaar, das dieser neuen Königsgattung der szenischen Musik, geboren in Italien und von Claudio Monteverdi auf erste olympische Höhen geführt, auch nördlich der Alpen eine bedeutende Stellung hätte verschaffen können.
Es ist eine absolute Gute-Laune-Sommer-CD, die das Duo GIOVIVO mit seinem Album „Serendipity“, das bei Genuin erschienen ist, herausgebracht hat. Hier ist der Name des ungewöhnlichen Duos tatsächlich Programm, denn aus jedem Stück lässt sich die pure Lebens- und Musizierfreude heraushören. Ob dies vielleicht auch ein wenig damit zu tun hat, dass es sich bei dem Duo bestehend aus Fabian Bloch und Muriel Zeiter um Multiinstrumentalisten handelt? Zumindest liegt bei diesen eine große Bandbreite an musikalischen Facetten durchaus auf der Hand – frei nach dem Motto „wir spielen, worauf wir Lust haben“.
Sérgio Pires und Kosuke Akimoto hatten für ihr gemeinsames Debüt-Album die wundervolle Idee, neoklassizistische französische Klarinettensonaten mit Werken zweier zentraler älterer Komponisten zu verbinden. Dies bietet dem Hörer Gelegenheit, sich binnen einer guten – dabei höchst vergnüglichen – Stunde einen Überblick über die gallische Manier der Klarinettenkomposition mit traditionellen Mitteln zwischen 1910 und 1978 zu verschaffen und dabei sonst selten zu hörende Werke kennenzulernen.
"Mes Ennuis" Favourite Works Vol. 1 Frank Bungarten
MDG 905 2263-6
1 CD/SACD stereo/surround • 75min • 2021
03.12.2022 • 10 10 10
Fernando Sor wurde 1778 in Barcelona geboren. Als Anhänger der in Spanien eindringenden Franzosen musste er nach Napoleons Niederlage das Land verlassen. Paris lockte – mit all seinen Bühnen und Salons. Hier erwarb sich Fernando Sor seinen Ruf als König des romantischen Gitarrenspiels. Er veröffentlichte unzählige Gitarrenwerke in Genres, die wir auch aus der Klaviermusik kennen: Bagatellen, Variationen, Salonstücke, Fantasien.
Ein überaus ansprechendes Porträt von London als europäischer Musikmetropole des 17. Jahrhunderts bietet diese CD. Ausgehend von Nicola Matteis (1650-1713), der (vermutlich aus Neapel stammend) die Londoner Musikwelt schon in seinen 20er Jahren eroberte, kombinieren die vorzüglichen Musiker des Emsembles L'Ephémère seine Musik mit einem reichen Spektrum des Musiklebens der englischen Hauptstadt aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Ein überaus liebevoll, engagiert und virtuos musiziertes Programm mit Kammermusik des unerschöpflichen Georg Philipp Telemann! Von den Solisten präsentiert sich Christian Heim gleichermaßen auf Blockflöte und Gambe (ist mir noch nicht auf einer CD vorgekommen, wenn mein Gedächtnis mich nicht im Stich lässt). Avinoam Shalev ist ein ebenso verlässlicher wie inspirierter Begleiter auf dem Cembalo, auf dem er auch ein Solokonzert zu dieser höchst gelungenen CD beisteuert.
Wohl jeder ambitionierte Blockflötist möchte die Sonaten von Georg Philipp Telemann möglichst früh in der Karriere einspielen, stellen sie doch ein – hinsichtlich des Stellenwertes – den Beethoven-Sonaten vergleichbares Kernrepertoire dar. Wenn der Grandseigneur der Blockflöte, Dan Laurin damit bis nach seinem 60. Geburtstag wartet, darf man auf Außerordentliches hoffen und diese Hoffnung wird nicht enttäuscht.
Die Hamburger Kirchenbesucher müssen zu Telemanns Zeiten gerne auf den harten Kirchenbänken verweilt haben, um beim Gottesdienst ganze Oratorien zu hören. Die harten Kirchenbänke dürften ihnen aber gleichgültig geworden sein, wenn sie die beiden Oratorien gehört haben, die Michael Alexander Willens und seine Kölner Akademie hier eingespielt haben: Wieder ein programmatischer Glücksgriff und wieder eine absolut saubere, stimmige, dramatische und stilistisch perfekte Einspielung! Und wieder kann man sich nur wundern über Telemanns schier unerschöpfliche kompositorische Phantasie, über seinen Einfallsreichtum bei der Vertonung eines geistlichen Textes
Es verwundert, dass von Georg Philipp Telemanns Commedia-dell‘-Arte-Adaption Pimpinone bisher nur wenige Aufnahmen existieren, handelt es sich doch um ein Bravour-Stück für zwei Gesangsvirtuosen mit Streicherbegleitung, das so eingängig wie komisch ist. Deshalb darf man für diese Neuaufnahme mit Marie-Sophie Pollak, Dominik Köninger und den Streichern der Akademie für Alte Musik Berlin mehr als dankbar sein. Dass Telemann hier mit „größter Lust“ bei der Sache war und zu Hochform auflief, erklärt sich auch aus dessen Biographie.
Hm, dachte ich, als ich diese CD in den CD-Spieler schob, wieder eine Weihnachtslieder-CD, noch dazu mit den alten Gassenhauern von Es ist ein Ros entsprungen bis zur White Christmas – weit gefehlt mit dieser Geringschätzung: Was das Voktett Hannover hier vorlegt, ist gepflegte Weihnachtschormusik vom feinsten, tonschön, elegant und schwerelos leicht gesungen von acht Studierenden der Musikhochschule Hannover, die sich 2012 zu einem Doppelquartett zusammengefunden haben, seitdem auf vielen Festivals reüssierten und etliche Preise gewonnen haben.
Der wohl bedeutendste lebende lettische Komponist, Pēteris Vasks, kann auch Klaviermusik – und wie! Mit überbordender Emotionalität und Sinn für die sich teils über lange Strecken aufladenden Naturbilder bringt das Reinis Zariņš kongenial herüber.
Federico Guglielmo und sein Ensemble L’Arte del Arco bringen mit Vol. 3 ihre Einspielung der Ouvertüren und Concerti des höchst eigensinnigen Florentiners Francesco Maria Veracini (1690-1768) zum exzellenten Abschluss. Da die Concerti bereits komplett aufgenommen waren, ergänzen zwei Violinsonaten das Programm. Dabei zeichnet sich die Aufnahme durch temperamentvoll-feuriges, dynamisch höchst flexibles Streicherspiel von unglaublicher Wachheit aus. Gute-Laune-Ouvertüren garniert mit melancholischen Sonaten.
Wie aufregend, wenn der ARD-Preisträger 2018 und seit Februar 2022 erster Solo-Bratschist der Berliner Philharmoniker, Diyang Mei, mit dem wohl besten deutschen Kammer-Pianisten und Repertoire-Enzyklopäden Oliver Triendl ein Album mit Stücken erarbeitet, die bisher wohl kaum einer je im Konzertsaal gehört hat. Nämlich Werke von osteuropäischen Komponisten, die in den 1890er Jahren geboren wurden und später zu Wahl-Parisern wurden.
„Muss das sein?“ stöhnte der Rezensent, als er diese Scheibe in der Post fand. Was musste jedoch geschehen, damit ihn diese Einspielung wider alle Erwartungen begeisterte? Einerseits bedurfte es zweier Interpreten, deren stupendes Können und ernsthaftes Wollen es nicht nötig hatte, sich hinter amateurhaften Mätzchen und Sentimentalitäten zu verstecken. Zum anderen der farblich schon fast überreichen Trost-Orgel in Waltershausen und eines darauf abgestimmten, perfekten Arrangements. [...]
Das Ensemble Klingekunst präsentiert auf seiner neusten CD die Ersteinspielung von sieben Werken aus einer Sammlung von 17 Triosonaten für Flöte, Violine und Basso continuo von Georg Christoph Wagenseil, die jüngst in Brescia entdeckt wurde. Damit vertieft es unsere Kenntnisse über den Stand „galanten“ Komponierens in Wien, einer Stilrichtung, die wir gemeinhin mit dem späteren Telemann und den Bach-Söhnen – also mit Hamburg und Berlin verbinden.
Venedig an der Alster! Matthias Weckmann (1621-1674) war Schüler von Heinrich Schütz und Michael Praetorius, die beide die italienische Musik über die Alpen nach Deutschland importierten und im 17. Jahrhundert unauslöschliche Akzente in der deutschen Musikgeschichte hinterließen. Als Organist der Hamburger Hauptkirche St. Jakobi, in der noch heute eine berühmte Arp-Schnitger-Orgel beeindruckt, prägte er zu Lebzeiten das Musikleben der Hansestadt nachdrücklich. Ronald Wilson und sein Ensemble Musica Fiata führen mit außerordenlticher Virtuosität und höchster stilistischer Integrität Weckmanns Bläsersonaten heutigen Hörern eindrucksvoll vor Ohren.
Es ist die Kombination zweier ungleicher Partner: Orgel und Cello. Erstere kann infernalische Klanggewalten entfesseln aber auch sanft säuseln, Letzteres ist ein Synonym für melodischen Schmelz hat aber eindeutig das Nachsehen, wenn es um die Klanggewalt geht. Das muss aber kein Nachteil sein. Dass so etwas gut gehen kann, zeigt die vorliegende Einspielung mit Musik für Orgel und Cello, die der Organist Gordon Safari und die Cellistin Hannah Vinzens eingespielt haben.
Wie selten gelingt es – wie im vorliegenden Fall – dass ein Sequel zu einer bereits höchst erfreulichen CD auf demselben hohen Niveau gelingt! Helen Dabringhaus und Sebastian Berakdar schaffen es spielend und präsentieren mit Vol. 2 der Flötenkompositionen von Johann Wilhelm Wilms virtuos gestaltete fröhliche Kost der Beethoven-Zeit, in der fast nur Flötisten Lust hatten, ausgiebig für ihr Instrument zu komponieren.
Sinfonia drammatica • Piano Concerto No. 1 • Rhythmophonie
Capriccio C5476
1 CD • 65min • 2021
09.06.2022 • 10 10 10
Nach seiner Befreiung aus Theresienstadt lebte Hans Winterberg bis zu seinem Tod 1991 in Bayern. Seine Musik geriet, trotz einiger Aufführungen zu Lebzeiten, jedoch in Vergessenheit. Das ändert sich jetzt: Die erste CD mit Orchesterwerken bei Capriccio spannt einen stilistischen Bogen quasi von der Janáček-Nachfolge bis zu engagierter Zwölftönigkeit und erweist sich als ein einziger Glücksfall.
Diese CD beantwortet gleich zwei Fragen: 1. Wie klingt ein Tangentenflügel? 2. Wie klingt Klaviermusik des „Sturm und Drang“? Hierzu eignet sich eine Auswahl aus dem umfänglichen „Clavierwerk“ des Weimarer Hofkapellmeisters unter Herzogin Anna Amalia, Ernst Wilhelm Wolf (1735-1792). Als höchst kompetente Informantin erweist sich die ungarische Cembalistin Flóra Fábri, die ein Faible für interessante Programme zu besitzen scheint, kombinierte sie auf ihrer Debüt CD doch Werke des Wieners Gottlieb Muffat mit Händel-Suiten, zu denen sich Muffat eigene Verzierungen schrieb.
Benjamin Appl und Simon Gaudenz bereichern die Hugo-Wolf-Diskographie aufs erfreulichste. Zwölf Vertonungen Wolfs (Goethe, Mörike), dessen Liedschaffen nicht zuletzt durch genialische Klavierbegleitungen berühmt wurde, werden auf dieser CD orchestral ganz vortrefflich begleitet. Die Jenaer Philharmonie unter Simon Gaudenz überzeugt aber auch vollkommen stimmig in der dreiteiligen, gut 23minütigen Penthesilea nach Heinrich von Kleists Trauerspiel.
„Vergesst Mozart!“ hat Wolfgang Antesberger ironisch ein Buch betitelt, das zum Mozartjahr 2006 darauf hinweisen wollte, dass Mozart zu seiner Zeit bei weitem nicht der beliebteste oder gar erfolgreichste Komponist war. Er hätte darin auch Paul Wranitzky (1756-1808) einbauen können. Der Komponist sollte ursprünglich Priester werden, wurde aber Musiker, und zwar ein exzellenter Geiger. 1780 wurde er Musikdirektor des Grafen Johann Baptist Eszterházy von Galantha, 1785 Direktor des Kärntnertortheaters und ab 1787 Mitglied des Burgtheaterorchesters, 1793 bis zu seinem Tode „Director bei der Violine“ in den beiden Hoftheatern.