Es ist das Verdienst der Pianistin Masha Dimitrieva und ihres Labels Sonus Eterna, dass das Schaffen des amerikanischen Komponisten Gordon Sherwood (1929–2013) in den letzten Jahren diskographisch immer besser erschlossen worden ist; mit Folge zwei der Gesamteinspielung seiner Lieder liegt nun schon die vierte CD ihres Sherwood-Projekts vor. Sherwood war ein großer Außenseiter mit einem außergewöhnlichen Lebensweg: Schüler u.a. von Copland, Jarnach und Petrassi, konnte er bereits während seines Studiums beachtliche Erfolge feiern, entschied sich aber dagegen, Teil des musikalischen Establishments zu werden.
CDs der Woche der zurückliegenden Jahre:
Brahms & Gernsheim
Piano Quartets Mariani Klavierquartett
Audax Records ADX11202
1 CD • 80min • 2021
02.01.2022 • 10 10 10
Interessante Kombination eines Stiefkinds der Kammermusik von Johannes Brahms, das wegen seiner „himmlischen Längen“ gefürchtet wird. Dazu ein ähnlich lyrisches Klavierquartett von Brahms‘ Bewunderer Friedrich Gernsheim. Dem Mariani-Quartett gelang bei beiden Werken die klare Referenz.
Danksagungen sind meistens nur für diejenigen interessant, denen gedankt wird. Hier jedoch lohnt es sich, das Beiheft aufmerksam durchzusehen: Nicht bloß, weil der Editionsleiter der Telemann-Gesamtausgabe Wolfgang Hirschmann höchstselbst einen naturgemäß außerordentlich informativen Text beigesteuert hat, sondern auch, weil die Solistin und Ensembleleiterin Elizabeth Wallfisch einen aussagekräftigen Gruß an den Aufnahmeort richtet. Die Kirche La Baleine liegt in der Normandie in dem gleichnamigen Dorf, das – Stand 2018 – genau 96 Einwohner hatte.
Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass sein offizielles Opus 1, das Klavierquartett c-Moll, auch die erste bedeutsame Komposition von Felix Mendelssohn Bartholdy war. Im zarten Alter von zwölf bis vierzehn Jahren schrieb das musikalische Wunderkind nicht weniger als zwölf Streichersinfonien, die aber erst 1950 posthum veröffentlicht wurden, nachdem man sie in der Staatsbibliothek zu Berlin entdeckt hatte. Bei diesen handelt es sich um recht kurze, dreisätzige Sinfonien für Streicher, die als Studien zum Erlernen orchestraler Techniken bei Mendelssohns Lehrer Carl Friedrich Zelter entstanden.
Es ist das Verdienst der Pianistin Masha Dimitrieva und ihres Labels Sonus Eterna, dass das Schaffen des amerikanischen Komponisten Gordon Sherwood (1929–2013) in den letzten Jahren diskographisch immer besser erschlossen worden ist; mit Folge zwei der Gesamteinspielung seiner Lieder liegt nun schon die vierte CD ihres Sherwood-Projekts vor. Sherwood war ein großer Außenseiter mit einem außergewöhnlichen Lebensweg: Schüler u.a. von Copland, Jarnach und Petrassi, konnte er bereits während seines Studiums beachtliche Erfolge feiern, entschied sich aber dagegen, Teil des musikalischen Establishments zu werden.
Eigentlich gehöre ich ja zu den preziösen Puristen, die generell über Crossover-Alben nonchalant das Näschen zu kräuseln pflegen. Somit dachte ich mir, als ich den Umschlag aus der Redaktion aufriss: „Mir diese Schmach! Na gut, bei Gelegenheit mal reinhören und dann möglichst viele Bosheiten platzieren“. Also habe ich irgendwann die Scheibe lustlos in den Player gestopft, um sie als Hintergrund bei der Morgenlektüre laufen lassen. Doch wurde es dann nichts mit der Morgenlektüre. Stattdessen: Gebanntes Lauschen.
Clara Schumann und 23 ihrer - überwiegend vergessenen - komponierenden Schwestern des 19. und 20. Jahrhunderts werden von der Sopranistin Franziska Heinzen und dem Pianisten Benjamin Mead glanzvoll ins Recht gesetzt.
Wie bei manch anderen Werken von Ludwig van Beethoven zeigt sich auch bei den Diabelli-Variationen ein gewisses Maß an Maßlosigkeit. Auch hier sprengt der freigeistige Komponist die Grenzen – indem er statt einer Variation über einen von dem Verleger Anton Diabelli komponierten Walzer derer gleich 33 liefert – einen ganzen Variationszyklus. Dabei hatte sich Beethoven zu Anfang noch über Diabellis Unterfangen mokiert, wollte gar keine Variation liefern.
Diese CD ist gleich zweifach zu empfehlen: einmal als Visitenkarte des Pianisten Andrea Vivanet und zum anderen, weil sie bislang kaum gehörtes Repertoire erschließt. Die Tanejew-Interpretation dürfte wegen ihrer Klarheit in der Darstellung polyphoner Strukturen Referenzcharakter besitzen, Schostakowitschs 24 Präludien spielt Vivanet mit viel Sinn für die Charakteristik dieser Miniaturen. Die drei Zyklen von Nikolai Tscherepnin liegen erstmals auf CD vor und legen ein faszinierendes Zeugnis von der stilistischen Entwicklung eines Komponisten zwischen russischer Spätromantik und Moderne ab.
Pavanas, Gallardas, Saltarelli & otras danzas del Renacimiento
fono ruz CDF-2885
1 CD • 70min • 2021
21.02.2022 • 10 10 10
Auf seiner neuesten CD widmet sich das Ensemble Aquel Trovar europäischer Tanzmusik der Renaissance: Es erklingen Tänze aus Spanien, Italien, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden und England. Die Aufnahmen sind ganz frisch, sie stammen vom Anfang August 2021.
Amy Beach (geb. Cheney, 1867-1944) war die erste bedeutende amerikanische Komponistin von Kunstmusik. Ihre musikalische Hochbegabung zeigte sich schon im Kleinkindalter. Jedoch wollten die Eltern sie nicht in die Wunderkindrolle drängen; erst mit sechs erlaubte man Amy formellen Klavierunterricht – da hatte das Mädchen längst zu komponieren begonnen. Später wurde sie lediglich in Harmonielehre unterwiesen, alles Weitere brachte sie sich autodidaktisch bei. Ab 1883 trat sie erfolgreich als Pianistin auf. Nach der Heirat 1885 gestattete ihr Gatte H. H. A. Beach nur ein Benefizkonzert pro Jahr, förderte sie allerdings als Komponistin; ihre Musik wurde dann unter dem Namen Mrs. H. H. A. Beach veröffentlicht.
Vor zehn Jahren begann der jetzt 62-jährige Christoph Ullrich sein Mammutprojekt: die Einspielung sämtlicher 555 Klaviersonaten von Domenico Scarlatti (1685-1757). Das Vorhaben, es wird gemäß einem im Arbeitszimmer des Pianisten angebrachten Ablaufplan 2028 abgeschlossen sein, darf mit vollem Recht schon jetzt als pianistische Großtat bezeichnet werden.
Mihaela Martin und Elena Bashkirova wählten für ihre erste gemeinsame CD die drei gemeinhin als „Sonatinen“ bezeichneten „mozartisierenden“ Violinsonaten aus dem Jahre 1816 von Franz Schubert sowie dessen zehn Jahre später entstandenes Rondo brillant op. 70. Es gelang ihnen eine farblich reiche, lyrisch-gesangliche, anrührende und – wo erforderlich – temperamentvolle Interpretation. Schubert war bereits mehrfach mit großangelegten Klaviersonaten gescheitert und hatte diese unvollendet zur Seite gelegt, als er sich entschloss, drei Duo-Sonaten mit geringeren technischen Anforderungen in der Nachfolge Mozarts und Haydns zu komponieren.
Von den mittlerweile 37 Solokonzerten Kalevi Ahos stellt vorliegende CD das 2014 komponierte Doppelkonzert für Englischhorn, Harfe und Orchester und das Tripelkonzert für Klaviertrio und Kammerorchester von 2018 vor. Das Doppelkonzert ist ein effektvoll ritualistisches Stück, das vier Hauptabschnitte in einem fortlaufenden Satz umfasst, wobei der gemessen voranschreitende Kopfsatz so lang ist wie die folgenden drei. An zweiter Stelle steht eine Duokadenz der Solisten, gefolgt von einem kapriziösen Allegro. Der Schlusssatz nimmt das Tempo des ersten wieder auf. Das Ganze beginnt mit geräuschhaft eisig flirrendem Nichts und endet ebendort.
Muss es denn ewig Mozart sein? Auch mitteldeutsche Komponisten der Klassik zeugten schöne Töchter und bereiteten auf diese Weise der Romantik den Weg. Brillante, spannende und subtile Werke der Übergangszeit in exzellenter Interpretation.
Öfter zitiert als durchdacht wird Goethes Skriptum über das Quartettspiel, man höre da „vier vernünftige Leute sich untereinander unterhalten“ und „glaubt, ihren Diskursen etwas abzugewinnen“: passiert doch in den Streichquartetten von Haydn und Mozart soviel an sprachlichem Handeln gleichzeitig, dass eher handfeste Sprachverwirrung herrschen würde. Perfekt hingegen passt die Diskursmetapher auf das vorliegende Album mit Fantasias von Henry Purcell, dessen Musik Goethe im Rahmen der damals grassierenden Shakespeare-Begeisterung kennengelernt hat.
Die Gesamtaufnahme der Symphonien des in Lettland geborenen, nach seinen Studien in Riga und Paris ab 1951 in Kanada ansässigen Komponisten Tālivaldis Ķeniņš (1919-2008) auf Ondine schreitet voran. Und mit jeder CD erscheinen einerseits neue Aspekte dieses hochinteressanten – nach eigener Einschätzung – Eklektikers, der freilich über ein ganz außerordentliches Handwerk aller modernen Techniken verfügte.
Das finnische Nationalepos Kalevala, das der Arzt Elias Lönnrot 1835 auf Grundlage selbstgesammelter Volksdichtungen geschaffen hatte, inspirierte ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Komponisten zu musikalischen Werken. Das Verdienst, die Geschichten der Kalevala-Gesänge international unter Musikfreunden bekannt gemacht zu haben, kommt dabei zweifelsohne Jean Sibelius zu, der sich von ihnen während seiner gesamten Schaffenszeit zu symphonischen Kompositionen inspirieren ließ (Kullervo-Symphonie, Lemminkäinen-Legenden, Pohjolas Tochter, Luonnotar, Tapiola).
Es ist die Kombination zweier ungleicher Partner: Orgel und Cello. Erstere kann infernalische Klanggewalten entfesseln aber auch sanft säuseln, Letzteres ist ein Synonym für melodischen Schmelz hat aber eindeutig das Nachsehen, wenn es um die Klanggewalt geht. Das muss aber kein Nachteil sein. Dass so etwas gut gehen kann, zeigt die vorliegende Einspielung mit Musik für Orgel und Cello, die der Organist Gordon Safari und die Cellistin Hannah Vinzens eingespielt haben.
Ein Provinzorganist und Kleriker schlägt eine Brücke zwischen Charles Marie Widor und Maurice Duruflé. Hochvirtuos und dankbar für den Interpreten. Kompositorisch gekonnt und emotional abwechslungsreich. Mit Liebe und Verstand gespielt.
Die Couperins waren die bedeutendste Musikerdynastie des französischen Barocks; 173 Jahre lang stellte die Familie die Organisten der Kirche St. Gervais in Paris. Armand-Louis Couperin (1727-1789) war der Neffe von Louis Couperin (1926-1661) und Vetter von François Couperin «Le Grand» (1668-1721). Armand-Louis erbte die Stelle an St. Gervais von seinem Vater Nicolas, der 1748 starb. 1773 gab er sie auf; er überließ sie und die damit verbundenen Pflichten seinem Sohn Pierre-Louis als Nachfolger. Auch danach entfaltete Armand-Louis allerdings eine umfangreiche Tätigkeit als gefeierter Virtuose auf der Orgel und am Cembalo.
Sérgio Pires und Kosuke Akimoto hatten für ihr gemeinsames Debüt-Album die wundervolle Idee, neoklassizistische französische Klarinettensonaten mit Werken zweier zentraler älterer Komponisten zu verbinden. Dies bietet dem Hörer Gelegenheit, sich binnen einer guten – dabei höchst vergnüglichen – Stunde einen Überblick über die gallische Manier der Klarinettenkomposition mit traditionellen Mitteln zwischen 1910 und 1978 zu verschaffen und dabei sonst selten zu hörende Werke kennenzulernen.
Bei dieser Aufnahme stimmt alles: ein klug ausgewähltes Programm eines hervorragenden Barockkomponisten, stilsichere Interpreten, die mit viel Herz, aber auch wissenschaftlich fundiert agieren, und eine Aufnahmetechnik, die wirklichen Rundumraumklang bietet. Masaaki Suzuki kennt man als herausragenden Bach-Spezialisten, hier präsentiert er sich als Barock-Spezialist, der auch die Orgel beherrscht: Den Klang der Krigbaum-Orgel in der Marquand Chapel der Yale University rückt er geradezu prunkend ins Licht.
Die Hamburger Kirchenbesucher müssen zu Telemanns Zeiten gerne auf den harten Kirchenbänken verweilt haben, um beim Gottesdienst ganze Oratorien zu hören. Die harten Kirchenbänke dürften ihnen aber gleichgültig geworden sein, wenn sie die beiden Oratorien gehört haben, die Michael Alexander Willens und seine Kölner Akademie hier eingespielt haben: Wieder ein programmatischer Glücksgriff und wieder eine absolut saubere, stimmige, dramatische und stilistisch perfekte Einspielung! Und wieder kann man sich nur wundern über Telemanns schier unerschöpfliche kompositorische Phantasie, über seinen Einfallsreichtum bei der Vertonung eines geistlichen Textes
Ein überaus liebevoll, engagiert und virtuos musiziertes Programm mit Kammermusik des unerschöpflichen Georg Philipp Telemann! Von den Solisten präsentiert sich Christian Heim gleichermaßen auf Blockflöte und Gambe (ist mir noch nicht auf einer CD vorgekommen, wenn mein Gedächtnis mich nicht im Stich lässt). Avinoam Shalev ist ein ebenso verlässlicher wie inspirierter Begleiter auf dem Cembalo, auf dem er auch ein Solokonzert zu dieser höchst gelungenen CD beisteuert.
Dieser Pianist ist eine Entdeckung – und es ist selten, dass sich so etwas schon bei den ersten Tönen in solcher Klarheit offenbart: Julius Asal transportiert in seinem Spiel elementare Energien, denen es an künstlerischer Überzeugungskraft niemals fehlt. Auch und gerade, wenn er bei seinem Programm für dieses CD-Debüt in bestem Sinne „groß“ denkt. Es geht auf dieser Aufnahme um Sergej Prokofievs gesamte Ausdrucksbandbreite.
Nachdem der Rezensent hier vor knapp drei Jahren die Einspielung der drei letzten Klavierkonzerte (Nr. 3-5) von Camille Saint-Saëns mit Vater und Sohn Kantorow zur unangefochtenen Referenzaufnahme gekürt hatte, legen die beiden nun mit der finnischen Tapiola Sinfonietta, die zur Hauptstadtregion gehört, nach: Auf der neuen CD – mit 85 Minuten Überlänge – finden sich die noch fehlenden Klavierkonzerte Nr. 1 & 2 sowie alle vier übrigen Kompositionen Saint-Saëns‘ für Klavier und Orchester.
Anthems & Motets for Bass Singer and Basso Continuo
Footprint FR 123
1 CD • 60min • 2021
04.07.2022 • 10 10 10
Ein umfangreiches Soloprogramm mit Hymnen und Motetten des 17. Jahrhunderts aus Italien und England präsentiert der schwedische Bass Staffan Liljas in seinem Solodebüt auf CD: Es erklingen Vokalwerke von Claudio Monteverdi, Henry Purcell, John Blow und William Turner; drei Instrumentalwerke von Giovanni Picchi, Domenico Gabrielli und Girolamo Frescobaldi bereichern den italienischen Teil des Programms.
Heinz Holligers über 60 Jahre währende Karriere als Oboist, Komponist, Pädagoge und Dirigent ist einzigartig. Mit dem vorliegenden Oboenprogramm kehrt der 82jährige zu seinen musikalischen Wurzeln zurück. Das Doppelrohrblatt der Oboe, weiterentwickelt aus den singenden Schilfrohren (roseaux chantants) archaischer Instrumente, bestimmt diese herrlich-originelle Produktion.
Mit der Selbstaussage „Ich habe zu viel Schopenhauer gelesen und schaue mir die Sachen anders an“ schaffte es Johannes Brahms, seinen Schützling Dvořák sehr zu betrüben. Der tief gläubige jüngere Kollege deutete, so erzählt es Josef Suk, diese Aussage als religiösen Skeptizismus. Mindestens so plausibel ist es, Brahmsens philosophische Lektüre weltanschaulich zu deuten. Das würde erklären, warum gerade die Musik der späteren Jahre so resignativ, melancholisch, traurig klingt.
In Olivier Messiaens Quatuor pour la fin du temps ist die Bezeichnung „Quartett“ in dem Sinne zu verstehen, dass zur vollständigen Umsetzung des Werkes vier Musiker nötig sind. Allerdings sind nur in vier der acht Sätze alle Instrumente zu hören. Bei den übrigen handelt es sich um ein Solo für die Klarinette (Nr. 3), zwei Duos für Violine bzw. Violoncello und Klavier (Nr. 5 und Nr. 8) und ein Trio ohne das Klavier (Nr. 4). Da allerdings im zweiten Satz nur zu Beginn und am Schluss kurz das ganze Quartett spielt, es sich ansonsten um ein klavierbegleitetes Unisono von Violine und Cello handelt, und der sechste Satz gar ein durchgehendes Unisono aller vier Instrumente ist (also im Grunde ein Solo wie der dritte), beschränkt sich die Zahl der Sätze, in denen alle Instrumente selbstständig geführt werden, auf zwei.
Summary Vol. II Bartók, Debussy, Kodály, Martinů, Mendelssohn, Schumann
Tacet S 268
1 CD/SACD stereo/surround • 77min • 2020, 2021
01.08.2022 • 10 10 10
Der große ungarische Cellist Miklós Perényi zählt mit seinen 74 Jahren mittlerweile sicherlich zu den Altmeistern seiner Zunft, und so hat ihn das Label Tacet für die zweite Folge des neuen Projekts „Summary“ ausgewählt, die das Alterswerk herausragender Musiker und Ensembles präsentiert. Das Resultat ist ein Programm, das ganz von Perényis persönlichen Vorlieben geprägt ist, eine bunte Palette, die von deutscher Romantik bis hin zu Perényis Landsmännern Bartók und Kodály reicht.
Anton Eberl (1765-1807) …? Wieder so ein Unbekannter, der beeindruckende Musik schrieb, jedoch zumeist – wie auch seine Mitschüler bei W. A. Mozart, Josef Wölfl und Johann Nepomuk Hummel – nur im Zusammenhang mit der Entwicklung des Klaviervirtuosentums im 19. Jahrhundert Erwähnung findet. Umso dankenswerter ist es, dass sich das mehrfach mit „Klassik-ECHOs‟ ausgezeichnete casalQuartett seines einzigen, dem russischen Zaren Alexander I. gewidmeten Opus für Streichquartett angenommen hat.
Virtuoso Lute Music from Nuremberg Magnus Andersson
klanglogo KL1537
1 CD • 66min • 2019
15.08.2022 • 10 10 10
Magnus Andersson, 1981geborener schwedischer Lautenist, hat auf vielen Einspielungen als Mitglied von Continuo-Ensembles gewirkt und sich schon damit einen verdienten Platz unter den vorzüglichen Solisten seines Instruments errungen. Auf dieser CD legt er ein Soloprogramm für Laute vor, das Musik aus Nürnberg vereint, einer der führenden Kulturstädte der Spätrenaissance und des Frühbarocks. Nürnberger Drucke von Musik dieser Zeit enthalten ein breites Repertoire verschiedenster europäischer Nationen und belegen die kulturelle Bedeutung der Stadt; auch die Literatur für Laute zeigt sich in Nürnberger Musikdrucken und in handschriftlicher Überlieferung des 16. und 17. Jahrhunderts in beeindruckender Reichhaltigkeit.
Bereits zum zweiten Male sucht der Cembalist Slobodan Jovanović nach dem italienischen Einfluss bei Johann Sebastian Bach. Wer so sucht, der findet auch: Bach hat schließlich alles in sich. Diesmal sucht Jovanović das Italienische vor allem in den Toccaten, nämlich „concerto-ähnliche Abschnitte, wilde ‚passagi‘, …den Einsatz von archaischen ‚durezze e ligature‘ (das heißt: reich an hart dissonanten Vorhalten) und den Stil ‚con discrezione‘“. Was immer Jovanović gefunden haben mag: Er spielt die ausgewählten Werke ungemein plastisch, doch immer gut durchhörbar, mit großem formalem Gestaltungswillen
Es gehört zu den Markenzeichen des Duos Maiss You, dass Burkhard Maiß – an der Seite der Pianistin Ji-Yeoun You – in aller Regel sowohl auf der Violine als auch auf der Viola zu hören ist, und so kombiniert auch seine dritte CD, erneut bei TYXart erschienen, zwei Violinsonaten, nämlich Beethovens große Kreutzersonate und Bernd Alois Zimmermanns relativ frühe Violinsonate, mit der zweiten von Brahms’ Sonaten op. 120 (in der Fassung für Viola).
Dieser Klang – ein Universum! Eigentlich sind es nur einzelne Töne, die mehr oder weniger unverbunden nebeneinander stehen. Text? Der besteht nur aus einzelnen Buchstaben oder Fetzen von einzelnen Silben. Letztendlich ist er genauso unverständlich wie unwichtig. Auf den Klang kommt es an und den Prozess, den die Musik durchläuft. Das hat der Chor des Lettischen Rundfunks unter der Leitung von Sigvards Klava ganz offensichtlich verinnerlicht, denn der Sog, den ihre Interpretation der Chormusik von John Cage entfaltet, ist unwiderstehlich.
Christoph Hartmann, Matthias Rácz und Alina Kirichenko präsentieren auf ihrer neuen CD Kammermusik für Oboe und Fagott, die in zwei Werken durch das Klavier zum Trio erweitert wird. In ihrer Stilistik basieren die vier Kompositionen – obwohl zwischen 1926 und 2019 entstanden – auf der Ästhetik des französischen Neoklassizismus der 1920er Jahre, der klassische und barocke Klangfiguren auf ironisch-witzige Weise elegant mit populären Idiomen aus Café Chantant und Music Hall verwob.
Der wohl bedeutendste lebende lettische Komponist, Pēteris Vasks, kann auch Klaviermusik – und wie! Mit überbordender Emotionalität und Sinn für die sich teils über lange Strecken aufladenden Naturbilder bringt das Reinis Zariņš kongenial herüber.
Martinus Ræhs (1702-1766) – in Dänemark auch häufig mit seinem dänischen Vornamen „Morten“ benannt – teilt sein Schicksal mit vielen Komponisten seiner Generation: zu Lebzeiten in bedeutenden Stellungen tätig gewesen zu sein, nach seinem Tod hingegen einer völligen Vergessenheit anheimzufallen. Er wuchs als Sohn von Morten Ræhs dem Älteren (gest. 1733) in einer musikalische Familie auf, sein Vater war Stadmusiker in Mitteljütland und erlangte später den Posten als Chef der Stadtmusik in Aarhus. Diese Stellung vererbte er an seinen Sohn Martinus (Morten), dessen solistisches Hauptinstrument die Traversflöte war.
„Fanfaronade“ – ausgerechnet die Bezeichnung für eine „großspurige Prahlerei“ erwählt sich dieses Programm französischer Kammermusik für Gambe und Begleitensemble als Titel. Damit qualifiziert es die Musik, die Juliane Laake auf der Gambe mit ihrem Ensemble Art d’Eco hier vorstellt, als ambitionierte Kammermusik der Epochen Ludwigs XIV., des Sonnenkönigs, und Ludwigs XV., seines Urenkels und Nachfolgers auf dem französischen Thron. Mit Kompositionen von Antoine Forqueray (1672-1745) und Marin Marais (1656-1728) präsentiert die Künstlerin Meisterwerke, die in der Diskographie des französischen Grand Siècles bereits verschiedentlich erschienen sind.
Einen eigenen Namen haben Hartmut Schill (Violine), Matthias Worm (Viola) und Tilman Trüdinger (Violoncello) noch nicht, wenn sie im Trio zusammenspielen. Zumindest wurde diese bereits 2016 produzierte Aufnahme der Goldberg-Variationen BWV 988 von Johann Sebastian Bach nicht unter dem Signum einer festen Formation gemacht. Wenn sie es nicht schon tun, sollten die drei Herren über eine gleichsam offizielle Ensemble-Gründung nachdenken, auch, wenn es für Streichtrio natürlich nicht ein so unerschöpfliches Repertoire gibt wie für Streichquartett.
Die wunderbare Natürlichkeit des Klangs dieser E-Gitarre mit all ihren Möglichkeiten strömt einem ab dem ersten, neunminütigen Stück entgegen. Durchgängig, mehr als eine Stunde, ist auf dieser CD Herbigs „feeling for the right timing“ zu erleben. Subtile Agogik atmet Vollkommenheit im Formgefühl. Das knapp vierminütige Most Holy Mother of God kontrastiert durch eingebundene, eigentümlich abgedämpfte Non-legato-Klänge. Psalom ist an Psalm 112 angelehnt, der zu auf höhere Macht vertrauende Gerechtigkeit aufruft. Die Komposition ist inspiriert vom kirchenslawischen Sprachduktus und überzeugt wohl genauso, wenn man das Stück nonverbal-absolut als verhaltene, unspektakulär großartige Musik genießt – innerhalb der Neuen Simplizität, für die Pärt unter anderem steht.
Wie selten gelingt es – wie im vorliegenden Fall – dass ein Sequel zu einer bereits höchst erfreulichen CD auf demselben hohen Niveau gelingt! Helen Dabringhaus und Sebastian Berakdar schaffen es spielend und präsentieren mit Vol. 2 der Flötenkompositionen von Johann Wilhelm Wilms virtuos gestaltete fröhliche Kost der Beethoven-Zeit, in der fast nur Flötisten Lust hatten, ausgiebig für ihr Instrument zu komponieren.
The Yiddish Songs from the Operetta by Christian von Götz
Ars Produktion ARS 38 614
1 CD • 51min • 2022
31.10.2022 • 10 10 10
Eine yiddische Operette im Broadway-Stil der 1910er Jahre, kompiliert aus zahlreichen Kompositionen heute unbekannter Komponisten - voller Witz und Tiefgang, und von Sängern und Instrumentalisten mitreißend umgesetzt.
Zwei der großen Violinkonzerte des Repertoires: Brahms‘ romantisches Paradekonzert und Bergs expressives Seelenportrait – kontrastreicher könnte das Programm dieser Einspielung kaum sein. Der Geiger Christian Tetzlaff hat beide mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter der Leitung von Robin Ticciati eingespielt. Es ist die zweite Zusammenarbeit des Hauptstadtklangkörpers mit dem Geiger, und auch die ist auf ganzer Linie gelungen. Beide Konzerte hat Tetzlaff seit unzähligen Jahren im Repertoire, doch von Routine ist sein Spiel hier weit entfernt.
Musikproduktion Dabringhaus & Grimm hat jetzt die gesamten Studies for Player Piano des amerikanischen Komponisten Conlon Nancarrow (1912-1997), die zwischen 2006 und 2009 zunächst auf fünf Einzel-CDs innerhalb der Reihe „Player Piano“ veröffentlicht worden waren, in einer preiswerten Box zusammengefasst. Eine gute Gelegenheit, sich diese Schätze nochmals anzuhören. Der Begriff der Etüde – also eines Übungsstückes zur Erarbeitung und Konsolidierung technisch-musikalischer Fähigkeiten – scheint zunächst einmal in Verbindung mit Selbstspielklavieren paradox, passt jedoch im Fall von Nancarrows Studies (ca. 1949-1987) durchaus.
Es ist immer wieder spannend, Neues und Unbekanntes zu entdecken. So geht es einem beim Hören der neuen CD von Matthias Höfs, die er gemeinsam mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Tarmo Peltokoski aufgenommen hat. Denn hierbei handelt es sich um eine reine Oskar Böhme-Aufnahme. Oskar Böhme? Der gebürtige Dresdner, der zu Lebzeiten bekannt wurde als „Der Trompeter von Sankt Petersburg“ ist weder in der heutigen Musikgeschichte noch im Konzertleben sonderlich bekannt. Dem könnte diese Aufnahme Abhilfe schaffen, denn Böhme schrieb eines der interessantesten Trompetenkonzerte des 19. Jahrhunderts.
Ungefähr gleichaltrig mit Goldmark, Brahms und Borodin, rund ein Jahrzehnt älter als Svendsen und Grieg, gilt der 1831 geborene Schwede Ludvig Norman als herausragendster schwedischer Komponist seiner Generation. Obwohl er den Großteil seiner Musikerlaufbahn als Chefdirigent der Königlichen Oper in Stockholm zubrachte, widmete er sich als schaffender Künstler vorrangig der Instrumentalmusik. Neben zahlreichen Kammermusikwerken in verschiedenen Besetzungen, komponierte Norman auch drei Symphonien und kürzere Orchesterstücke. Eine Auswahl davon präsentiert die Oulu Sinfonia unter der Leitung Johannes Gustavsons auf der vorliegenden CD.
Mehr und mehr rücken die Komponistinnen des 19. Jahrhunderts in den Fokus der Interpreten. Mélanie Bonis (1858-1937) hatte die Möglichkeit, vermittelt auch durch César Franck, am Pariser Konservatorium zu studieren, zusammen mit Ernest Chausson und Claude Debussy – den sie, bei aller Sympathie, durchaus kritisch sah als „entzückender Illustrator kurzer kleiner Dinge“. Ihren Kommilitonen Amédée Hettich durfte sie nicht heiraten, sondern stattdessen einen wesentlich älteren wohlhabenden Witwer, mit dem sie 35 Jahre zusammenlebte und drei Kinder hatte. Eins davon stammte aber von Amédée Hettich, mit dem sie eine Liaison hatte. Erst nach dem Tode ihres Mannes 1918 konnte sie sich wieder verstärkt dem Komponieren widmen.
Haben Sie den Namen Berthold Damcke schon einmal gehört? Nein! Ich auch nicht, bevor ich nicht diese hinreißende Doppel-CD des Pianotrios Then Berg – Yang – Schäfer zur Besprechung erhielt. Diese stellt – wie bei vielen heute zu Unrecht vergessenen Komponisten – die Frage, ob romantische Musik nicht auch einmal elegant und gefällig sein und Freude bereiten darf, ohne dabei ins Triviale oder Kitschige abzugleiten.
Eine weitere Aufnahme von Mozarts Haffner-Serenade ? 670 Treffer ergibt allein schon die Suche bei jpc. Thomas Schipperges im „Mozart-Handbuch“ beschreibt diese Serenade so: „Das Stück ist ein Aushängeschild dieses Genres und zudem auch der Kunst Mozarts. Keine der bisherigen Serenadenmusiken Mozarts bietet ausgedehntere Sätze, eine ausgefeiltere sinfonische Faktur und üppigeren orchestralen Glanz…eine Stunde vollkommenster Musik“. Als ich dann diese Aufnahme mit den Festival Strings Lucerne auflegte, erlebte ich wirklich eine Stunde vollkommenster Musik. Besser geht’s wohl nicht.
In eigenen Bearbeitungen stellt der junge Bratschist Mathis Rochat Werke von Sergei Rachmaninow auf der Viola vor. Zentrum des Albums ist die mit vollem, sonoren Ton hinreißend dargebotene Cellosonate, während eine Reihe von lyrisch-filigranen Liedbearbeitungen Zeugnis von Rochats Wandlungsfähigkeit ablegt.